Augusto Boal

Autor: Stefan Lumplecker

Was macht Augusto Boal auf der Website des Paulo Freire Zentrums? Geben wir ihm doch selbst das Wort. Anlässlich des Todes von Paulo Freire im Mai 1997 meinte Boal: „Ich bin sehr traurig. Ich habe meinen letzten Vater verloren. Nun sind alles, was ich habe, Brüder und Schwestern.“ Augusto Boals revolutionäre Theaterarbeit ist stark geprägt von den Überlegungen Paulo Freires.Boals „Theater der Unterdrückten“ kann somit als eine Umsetzung von Freires „Pädagogik der Unterdrückten“ mittels der Methode des Theaters gesehen werden. „Unter der Verwendung von Pädagogik und Theater, haben beide mit unterdrückten Menschen dieser Welt an der Entwicklung von kritischen Bildungen und Aktionen gearbeitet, um soziale Systeme der Unterdrückung zu überwinden.“

Eine kurze Biografie

Augusto Boal wurde 1931 in Rio de Janeiro geboren und starb im Alter von 78 Jahren am 2. Mai 2009 in seiner Heimatstadt an den Folgen einer Leukämieerkrankung. Ende der 1940er / Anfang der 1950er Jahre studierte er Chemie und Theaterwissenschaften an der Columbia University in New York. Im Todesjahr von Berthold Brecht (einem anderen Vorbild seiner Arbeit) übernahm er 1956 mit nur 26 Jahren die Leitung des Teatro de Arena, eines kleinen Theaters mit 180 Plätzen im Zentrum São Paulos. Im Gegensatz zum elitären und an (klassischen) europäischen Vorbildern orientieren brasilianischen Mainstream-Theater (das Boal als „bourgeoises Theater“ bezeichnet), setzte das Teatro de Arena auf brasilianische Stoffe, politische Themen und den emanzipatorischen Ansatz eines teatro popular. Dieser Ansatz bildete einen Teil einer zu Beginn der 1960er Jahre rapide wachsenden Bewegung für eine cultura popular, in der das Alphabetisierungprogramm Paulo Freires im Nordosten Brasiliens eine tragende Rolle spielte. Das Teatro de Arena nahm an dieser Bewegung teil und spielte vor Favela-BewohnerInnen, LandarbeiterInnen und FischerInnen. Man organisierte Theatergruppen (núcleos) im Landesinneren, wo SchauspielerInnen, Studierende und AktivistInnen der CPCs (Centros Populares de Cultura) Stücke aufführten und gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung schrieben und inszenierten.

All dies nahm ein jähes Ende, als die populistische Regierung Goulart 1964 von rechten Militärs weggeputscht wurde. Aufgrund der immer strenger werdenden Zensur und der politischen Repression konzentrierte sich das Teatro de Arena nunmehr auf die Inszenierung von europäischen Klassikern, die aber inhaltlich kaum weniger politische Sprengkraft besaßen. Zudem wurde eine erste Form des Theaters der Unterdrückten entwickelt, das Zeitungstheater. Über 40 núcleos reisten durch das Land, um diese Methode bekannt zu machen. Am 17. März 1971 wurde Augusto Boal von der Geheimpolizei verhaftet und gefoltert. Erst auf internationalen Druck kam er wieder frei, musste jedoch, wie Paulo Freire sieben Jahre zuvor, ins Exil gehen.

Die ersten fünf Jahre des Exils verbrachte Boal in Argentinien. 1973 arbeitete er in der peruanischen Alphabetisierungskampagne ALFIN (Operación de Alfabetización Integral) mit, die auf den Ideen der Pädagogik Paulo Freires basierte. Über Lissabon kam er schließlich 1978 nach Paris und wurde Dozent an der Université de la Sorbonne Nouvelle. Er entwickelte seine Methoden weiter, publizierte erste bedeutende Arbeiten und gründete mehrere Zentren des „Theaters der Unterdrückten“. Ende der 1980er Jahre kehrte er schließlich nach Rio de Janeiro zurück, nachdem ihm ehemalige TeilnehmerInnen seiner Kurse um Unterstützung bei der Gründung eines Centro de Teatro de Oprimido (CTO-Rio) baten.

Das CTO-Rio beteiligte sich am Wahlkampf der PT (Partido dos Trabalhadores) und im Rahmen dieser Zusammenarbeit ließ sich Boal – nach längerer Überzeugungsarbeit, wie es heißt – als Kandidat für den Stadtrat aufstellen. Boal wurde tatsächlich gewählt – und so konnte das Experiment „Legislatives Theater“ beginnen. Durch die Theaterarbeit in den núcleos mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen der Stadt entstanden zahlreiche Vorlagen für Gesetze, die Boal in den Stadtrat einbrachte und von denen während seines vierjährigen Mandats immerhin 13 verabschiedet wurden. 1996 scheiterte Boal jedoch bei der Wiederwahl und das Legislative Theaterprojekt verlor damit sein Sprachrohr im Stadtrat wie auch die finanzielle Grundlage. Dennoch arbeitet Boal gemeinsam mit dem Team des CTO-Rio weiter an diesem Experiment, einer Methode, die immer stärker auch über Brasilien hinaus Anklang findet. Nicht zuletzt durch Boals unverminderte Reisefreudigkeit, durch die er seine Methoden TeilnehmerInnen in Kursen auf der ganzen Welt näher bringt.

Theater der Unterdrückten – vom „espectador“ zum „espect-ator“

Boal experimentierte im Teatro de Arena mit neuen politischen und pädagogischen Formen des Theaters – die Methoden des Volkstheaters entstanden. Ziel aller dieser Techniken war die Übereignung der Produktionsmittel des Theaters an das Volk. Boal kritisiert das konventionelle Theater, da dabei die ZuschauerInnen (espectadores) ihr Denken und Handeln an die SchauspielerInnen delegieren. Boal möchte die ZuschauerInnen aus dieser passiven Rolle befreien, damit sie zu den AkteurInnen, zu ProtagonistInnen der dramatischen Handlung und damit auch ihres eigenen Lebens werden. Aus ZuschauerInnen werden ZuschauspielerInnen („espectadores“ werden zu „espect-atores“).

Das „Theater der Unterdrückten“, das er seit den 1970er Jahren systematisiert hat und das im ständigen Prozess der Weiterentwicklung auf der ganzen Welt steht, umfasst Methoden wie das Forumtheater, das Statuentheater, das Zeitungstheater, das Unsichtbare Theater usw. und als zuletzt entwickelte Form das Legislative Theater. Im Zentrum stehen immer Situationen der Unterdrückung – gefragt ist deren Lösung. Durch das aktive Eingreifen der ZuschauspielerInnen in die Handlung nehmen sie nicht nur die Welt als veränderbar war, sondern proben selbst die Veränderung: „Deshalb meine ich, daß Theater zwar nicht in sich selbst revolutionär ist; mit Sicherheit jedoch ist es ‚Probe‘ zur Revolution.“ (1)

Der Autor ist Absolvent der Fachhochschule Krems (Tourismusmanagement), Student der Internationalen Entwicklung an der Universität Wien und Projektassistent bei der Dreikönigsaktion.

 


 

(1) Boal, Augusto: Theater der Unterdrückten. Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler. Herausgegeben und aus dem Brasilianischen übersetzt von Martina Spinu und Henry Thorau. Frankfurt/Main, 1989, S. 43.