Laudatio aus Anlass der Verleihung des Österreichischen Preis für Entwicklungsforschung an den Mattersburger Kreis.

Die Laudatio auf den Mattersburger Kreis anlässlich der Verleihung des Österreichischen Preises für Entwicklungsforschung von Werner Raza, Leiter der ÖFSE, am 2. Dezember 2021.

Sehr geehrte Frau Sektionsleiterin Weitgruber, Herr Geschäftsführer Calice, liebe Kolleginnen und Kollegen, und last but not least, liebe Vertreterinnen und Vertreter des Mattersburger Kreises!

Ich darf eingangs meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass mit der heutigen Auszeichnung die burgenländische Stadt Mattersburg auch wieder einmal positive Schlagzeilen bekommt. Als für das Fundraising verantwortlicher Geschäftsführer einer Entwicklungsforschungseinrichtung erlaube ich mir daher den Hinweis, dass unter Marketing-Gesichtspunkten die heutige Preisverleihung an den Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik eine gute Gelegenheit wäre, vom Land Burgenland eine Verdoppelung des Preisgelds zu fordern, oder noch besser, einen Jubiläumsfonds zur Förderung der Aktivitäten des Mattersburger Kreises einzurichten.

Nichtsdestotrotz ist es vielleicht überraschend, dass ein Kreis von damals jungen Wissenschafter*innen, die sich mit Nord-Süd-Fragen beschäftigten, gerade den Namen eines beschaulichen Städtchens im Burgenland in die Vereinsbezeichnung integrierte und dies bis zum heutigen Tage beibehielt. Womöglich steckt dahinter ein verschlüsseltes Bekenntnis zur Peripherie, oder es wurde damit bereits die „Glokalisierungs-Debatte“ der 1990er Jahre vorweggenommen? In einer noch zu schreibenden Geschichte des MK wird dieses Mysteriosum zu ergründen sein. Interessant ist auch, dass das Gründungstreffen 1981 und auch die vom MK organisierte Österreichische Entwicklungstagung 2007 im mittlerweile umgebauten Mattersburger Kulturzentrum stattfanden, einem bemerkenswerten Bau aus den 1970er Jahren im Stile des Brutalismus. Auch dies ein Hinweis darauf, dass die Zukunft keine Leichte sein würde.

Anfangs hat der Mattersburger Kreis aus einer kleinen Gruppe junger Studierender und Universitätsassistent*innen bestanden, die nach Wegen suchten, Entwicklungspolitik in die Universitäten und die Zivilgesellschaft zu tragen. Diese grundsätzliche Zielsetzung sollte sich in den folgenden Jahrzehnten auch nicht ändern. Angesichts des Umstands, dass es für ein solches Vorhaben wenig Unterstützung an den Universitäten bzw. von der österreichischen Wissenschaftspolitik gegeben hat, ist es eigentlich wirklich überraschend, dass es den MK auch 40 Jahre nach seiner Gründung noch gibt, und dass er vor allem einige wichtige Erfolge erzielen konnte, auf die noch einzugehen sein wird.

Ein Schlüssel zur Erklärung des überraschenden Faktums seiner vierzigjährigen Existenz liegt sicher in der Hartnäckigkeit sowohl der Gründer*innen, als auch nachfolgender Mitglieder, die sich von ihrer relativen Marginalisierung im institutionellen System Universität nicht abschrecken ließen. Entwicklungsforschungsinstitute gab es nicht, Lehrkanzeln mit Bezug zu Entwicklungsthemen waren rar. Ich darf die Situation anhand einer kleinen persönlichen Erinnerung verdeutlichen. Ein Gründungsmitglied und langjähriger Obmann des MK war Dozent Herwig Palme vom damaligen Institut für Raumplanung an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er war Entwicklungsökonom und mein Dissertationsbetreuer. Seine besondere Leidenschaft galt dem indischen Subkontinent. Es gab meines Wissens niemanden an den österreichischen Universitäten, der ähnlich profunde Kenntnisse zur Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur Indiens hatte. Seine Lehrveranstaltungen und vor allem seine mehrwöchigen Studienreisen mit Studierenden waren legendär und hinterließen bei denen, die das Glück hatten dabei zu sein, Eindrücke fürs Leben. In der Universitätsleitung und der Professor*innenschaft der WU der 1980er und 90er Jahre galt Dozent Palme zweifelsohne als Unikat. Seine umfangreiche internationale Vernetzung wurde nicht wirklich als Bereicherung für die Universität wahrgenommen, seine Aktivitäten bestenfalls mit geringfügigen finanziellen Zuwendungen bedacht. Zumindest hatte er bestimmte Möglichkeiten, im Rahmen seiner Fixanstellung an der WU entwicklungspolitische Themen im universitären Kontext und darüber hinaus zu fördern. Ähnliches galt auch für einige seiner Weggefährten, wie zum Beispiel Peter Feldbauer, Franz Kolland, oder Kunibert Raffer – und später dann Walter Schicho, Inge Grau und Andreas Novy. Sie alle widmeten einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Zeit und Energie dem Mattersburger Kreis und arbeiteten dort über Fachgrenzen kollegial zusammen.

Dieser Personenkreis aus der Gründungszeit gehörte insgesamt trotzdem zu den relativ privilegierten Mitgliedern. Daneben gab es schon bald eine Mehrzahl an Mitgliedern, die über keine fixe Anstellung verfügten, sondern als externe Lehrbeauftragte und Projektmitarbeiter*innen arbeiteten mit sehr unsicheren Karriereaussichten, wie etwa Gerald Hödl, Christoph Parnreiter und Karin Fischer. Diese Personen gingen der Entwicklungsforschung nicht selten verloren, oder machten im Ausland Karriere.

Dass unter diesen Umständen zahlreiche Aktivitäten initiiert und umgesetzt werden konnten, ist nicht selbstverständlich. Dass es heute eine kleine, aber relevante Entwicklungsforschung an den österreichischen Universitäten gibt, verdanken wir wesentlich der Entschlossenheit und dem Durchhaltevermögen zahlreicher Mitglieder des Mattersburger Kreises. Ich kann hier nur einen kleinen Teil der verdienstvollen Personen nennen, möchte aber allen Mitgliedern des Vereins an dieser Stelle meine Wertschätzung für ihr Engagement und die erreichten Erfolge zum Ausdruck bringen.

Lassen Sie mich daher abschließend auf wichtige Meilensteine und Erfolge der Arbeit des MK kurz eingehen:

Zum ersten sticht die reiche und vielfältige Publikationstätigkeit hervor. Über die Jahre wurden drei Publikationsreihen in das Leben gerufen, darunter das Journal für Entwicklungspolitik. Seit 1985 viermal im Jahr erscheinend, ist es die einzige österreichische wissenschaftliche Zeitschrift für Entwicklungspolitik, und damit auch das internationale Aushängeschild der österreichischen Entwicklungsforschung. Ein Blick zurück an die Anfänge der Zeitschrift ist aufschlussreich. Das erste Heft 1985 öffnete mit einem Artikel des schwedischen Nobelpreisträgers für Ökonomie Gunnar Myrdal zur Kritik der Entwicklungshilfe; das zweite Heft enthielt einen Bericht zu Österreichs multilateraler Entwicklungshilfe von einem gewissen Franz Vranitzky. Darin beklagt er das mangelnde Interesse der heimischen Medien an der Jahrestagung des Gouverneurrats der Inter-amerikanischen Entwicklungsbank in Wien und stellt fest, dass „in Zeiten der ständig steigenden weltweiten Interdependenz ein starkes Interesse für internationale Fragen […] wünschenswert wäre. Die dritte Ausgabe aus dem Jahr 1985 enthält einen Artikel des langjährigen entwicklungspolitischen Sprechers der ÖVP, Heribert Steinbauer, mit dem Titel „Entwicklungshilfe ist eine moralische Verpflichtung“. Darin konstatiert er, dass die österreichische Entwicklungshilfe 1984 bei ungenügenden 0,28% des BIP lag. Seine lapidare Feststellung, dass  „dieser Entwicklung leider eine stolze Tradition verbaler Ankündigungen gegenüber stünde“, ist angesichts einer österreichischen ODA-Quote von 0,29% im Jahr 2020 nur zu aktuell. Man sieht, dass sich die Kluft zwischen entwicklungspolitischer Debatte und entwicklungspolitischer Praxis in Österreich seit den 1980er Jahren nicht maßgeblich verändert hat.

Daneben gibt der MK zwei Buchreihen heraus: zum Einen die im Jahr 1992 von Peter Feldbauer gegründete Reihe Historische Sozialkunde/Internationale Entwicklung mit bislang 36 erschienenen Bänden. Zum Anderen die Reihe Gesellschaft – Entwicklung – Politik (GEP), im Jahr 2001 auch von Peter Feldbauer gegründet, mit mittlerweile 20 erschienen Bänden. Die einzelnen Bände zeichnen sich durch die differenzierte Behandlung aktueller Fragen aus und finden breite Verwendung in der entwicklungspolitischen Lehre.

Zum zweiten sind als Erfolg zu nennen die Österreichischen Entwicklungstagungen, angestoßen von Andreas Novy und Gerald Faschingeder. Diese erstmals 2001 in Salzburg organisierten Tagungen sind bis heute die zentrale wissenschaftliche Konferenz im Feld der Entwicklungsforschung in Österreich. Sie finden alle drei Jahre statt und bieten in guter transdisziplinärer Praxis einen Ort der Diskussion und des Austausches zwischen der Forschung, der Zivilgesellschaft und der entwicklungspolitischen Praxis.

Zum dritten, und das ist vielleicht sogar der größte Erfolg, ist es gelungen, an der Universität Wien ein eigenes Studium der Internationalen Entwicklung einzurichten, das mit der Gründung eines Instituts für Internationale Entwicklung im Jahr 2009 auch institutionell abgesichert werden konnte. Als Projekt maßgeblich von Walter Schicho, dem Preisträger des Österreichischen Entwicklungsforschungspreises 2019 und Professor für Afrikanistik an der Universität Wien, über viele Jahre vorangetrieben, verdankt sich seine Einrichtung der aktiven Unterstützung zahlreicher Mitglieder des Mattersburger Kreises, allen voran von Karin Fischer, Gerald Hödl und Johannes Jäger. Ich denke, die studentische Mitwirkung in Form von wiederholten Protestaktionen angesichts einer nicht gerade unterstützenden Universitätsleitung darf hier auch nicht außer Acht gelassen werden. Das Institut ist heute selbständig und das aktuell angebotene Masterstudium wie auch das leider wieder aufgelassene Bachelorstudium haben sich als außerordentlich beliebt erwiesen.

Die mittlerweile 40-jährige Geschichte des Mattersburger Kreises kann daher durchaus Erfolge vorweisen. Sie ist aber wenig überraschend von Höhen und Tiefen gekennzeichnet und beinhaltet auch Rückschläge. Angesichts einer nach wie vor enttäuschend geringen finanziellen Ausstattung lebt der Verein vom hohen Einsatz seiner Mitglieder und Unterstützer*innen. Manche Schwächen, die den Vereinsmitgliedern durchaus bewusst sind, wie zum Beispiel die traditionelle Wien-Lastigkeit, sind strukturell und nur schwer zu überwinden. Bei anderen Aspekten, wie der traditionellen Männerlastigkeit konnten mit der Zeit Fortschritte erzielt werden. Nachdem erst im Jahr 2007 mit Karin Fischer die erste Vereins-Obfrau gewählt worden war, gibt es in ununterbrochener Reihenfolge nach Martina Neuwirth nunmehr mit Julia Eder die dritte Frau an der Spitze des Vereins.

Für mich ist offensichtlich, dass angesichts multipler globaler Krisenlagen transdisziplinäre Entwicklungsforschung einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung einer lebenswerten Zukunft leisten kann – und muss. Das gilt auch für die österreichische Entwicklungsforschung. Dass der Mattersburger Kreis dazu das Seine beitragen wird, und sich von eventuellen Widrigkeiten auch in Zukunft nicht davon abhalten lässt, das hoffe ich sehr! In diesem Sinn wünsche ich noch einmal 40 Jahre erfolgreiche Tätigkeit! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Die Laudatio kann auch nachgehört werden, im Video beginnt sie bei Minute 41.

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Titelbild © Dominik Stoppacher

Das Bild zeigt den richtigen Laudator und auch die richtige Veranstaltung, nämlich die Verleihung des Entwicklungsforschungspreises  – allerdings die falsche Zeit und den falschen Ort. 2017 hat die ÖFSE den Preis im Rahmen der Entwicklungstagung an der Uni Graz verliehen bekommen, und Werner Raza hat dabei die Dankesrede gehalten.

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