Rezension: Frauen*streiken.

Frauen streiken_Jorge Mejía Peralta_Flickr.com_CC BY 2.0

Welche Bedeutungen hat der Frauen*streik global betrachtet? In der 74. Ausgabe des Schweizer Zeitschriftenprojekts „Widerspruch – Beiträge zu sozialistischer Politik“ zeigen Aktivist*innen und Wissenschafter*innen aus diversen Teilen der Welt Errungenschaften der feministischen Protestbewegung.

Zentraleuropa als Ausgangspunkt.

Am 14. Juni 2019 gingen eine halbe Millionen Frauen* in der Schweiz auf die Straße, um sich an Demonstrationen und Aktionen gegen patriarchale Ausbeutungsstrukturen zu beteiligen. Dieser Streik war die größte politische Mobilisierung seit dem zweitägigen Generalstreik 1918 in Zürich, wo tausende Menschen gegen unfaire Arbeitsbedingungen demonstrierten. Dieser Frauen*streik mit so vielen Teilnehmer*innen ist „Ausdruck eines hohen politischen Selbstbewusstsein“ der Beteiligten, die die Begriffe Streik und Arbeit auf ihre eigenen Lebensrealitäten ummünzen: „Der Frauenstreik führt die Kämpfe weniger auf die Lohnarbeit zurück, er trotzt vielmehr den Grenzen der Lohnarbeit und ebnet auf diese Weise den Boden für eine Radikalisierung, die andere Bewegungen, andere Praktiken und andere Erfahrungen anspricht,“ erklärt die Wissenschafterin Raquel Aguilar im Buch „8M – Der große feministische Streik“. Streiken bedeutet in diesem Sinn nicht nur die Lohnarbeit niederzulegen, sondern auch die (unsichtbare) Reproduktionsarbeit von Frauen*. Diese öffentliche „Sichtbarmachung des Unsichtbaren“ ist einer der Anliegen des Streiks.

Beitrag zu einer sozialistischen Politik.

Die Verteilung und (monetäre) Bewertung von Arbeit ist zwischen Personen(gruppen) äußerst ungleich verteilt. Im Jahr 2014 veröffentlichte der Eurostat eine Studie über die Einkommenslücke von Frauen* im Vergleich zu Männern*: Dieser Gender Overall Earnings Gap besagt, dass der geschlechtsspezifische Gesamteinkommensunterschied in Österreich 44,9%, Deutschland 44,5% und Schweiz 44,2% beträgt, gemessen an durchschnittlichen Stundenverdiensten, durchschnittlicher Anzahl bezahlter Arbeitsstunden pro Monat und der geschlechtsspezifischen Erwerbstätigenquote. Kurzum, Frauen* verfügen laut der Zeitschrift Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft Nr. 3/17 nur über etwas mehr als die Hälfte des Einkommens der Männer* Der internationale Frauen*streik greift diese Schieflage (neben anderen Ungleichheiten) auf und setzt sich dafür ein, dass die Reproduktionsarbeit besser entlohnt und anders, etwa kollektiv organisiert wird.

Abzug des Spital-Managements.

Das Care-Manifest fordert beispielsweise, dass die Fallpauschale, welche die gesamte medizinische Leistung pro Behandlungsfall in Spitälern der Schweiz seit 2012 einheitlich administriert, bemisst und vergütet, durch eine ausreichende staatliche Bedarfsfinanzierung ersetzt wird. Die im Reproduktionsbereich tätigen Verfasserinnen des Manifests wenden sich gegen die „Vermanagerialisierung in der Care-Arbeit“, wo jede Bewegung quantifiziert werde. Die Autor*innen beklagen, dass seit der Einführung der Fallpauschale der Arbeitsdruck gestiegen sei und sich die Beziehungsarbeit zu den Patient*innen deutlich erschwere: „Professionelles Handeln wird heute mit der richtigen Bedienung der <<neutralen>> Management-Instrumente gleichgesetzt. Wer zu lange bei der Patientin, dem Patienten verweilt, ist selbst schuld. Die Fluktuationsrate im Care-Bereich ist alarmierend hoch, der vorzeitige Ausstieg aus dem Beruf ebenso.“

Außer-europäische Positionen.

Andere feministische Diskurse existieren in Lateinamerika. Dort verlautbaren Vertreterinnen des Feminismo Communtario, dass „ein wirklich antipatriarchaler und kommunitärer Feminismus bedeutet, von unseren Körpern, unseren Territorien und Kämpfen auszugehen.“ Diese Art des dekolonialen Feminismus pocht auf die politische Selbstbestimmung von indigenen Bevölkerungsgruppen, deren Anliegen sich in der Verfassung von Bolivien widerspiegeln: Sie beinhaltet Bildungsgesetze, die eine anti-patriarchale, gemeinschaftliche und intrakulturelle Bildung gutheißt. Ferner wird Hausarbeit als Vermögensquelle in der bolivarischen Verfassung anerkannt, die im öffentlichen Haushalt berücksichtigt werden muss.
Einen anderen Weg beschreiten autonome Teile der feministischen Bewegung in Chile: Sie verweigern jegliche Kooperation mit staatlichen Institutionen, die sie als Teil des neoliberalen Westens betrachten. Iris und Victoria Morales erklären: „Die einen reproduzieren mit dem <<Gender>>-Begriff ein nordeuropäisches Frauenbild (…). In universalistischer Manier und ohne Sensibilität für den Kontext werden Gender-Ideen und Projekte importiert (…). Staatsnahe feministische Institutionen nehmen für sich eine führende Rolle in Anspruch, während wir Autonome das politische, wirtschaftliche und soziale Modell grundsätzlich kritisieren.“

Argentinien als Vorbild.

Die Welt steht still, wenn Frauen* streiken. Das zeigt sich in der aktuellen Corona-Krise deutlich: Die sogenannten Systemerhalter*innen sind größtenteils weiblich. Das Buch prangert die strukturellen, patriarchalen Machverhältnisse aus unterschiedlichsten Positionen an – womit es seinem eigenen Anspruch gerecht wird „ein breiteres linkes Spektrum zu repräsentieren.“ Dabei bleiben lediglich die historischen Ursprünge des Frauen*streiks, Argentinien 2015/2016, unerwähnt und dass obwohl sich erst seitdem ähnliche Protestwellen im europäischen und deutschsprachigen Raum häufen (S.18, 8M). Nichts desto trotz wird die Glokalität der feministischen Bewegung anschaulich dargestellt und erklärt, warum „die große Anzahl der Kämpfe, die Sprache und Geschichte diese (..) Streikform ausmachen. Dadurch eröffnet sich auch ein neuer und machtvoller Zusammenhang, über die Mobilisierung und die Kämpfe gegen die umfassende Prekarisierung des Lebens nachzudenken (S.70, 8M).“

Weiterführende Links:

aep Informationen – Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft
Fallpauschale: Mehr Transparenz in Schweizer Spitälern
Eurostat: Geschlechtsspezifische Gesamtgehaltsunterschiede
Bolivianische Verfassung (deutsch)
Widerspruch Zeitschriftenprojekt
8M – Der große feministische Streik

Foto © Jorge Mejía Peralta. Flickr. All crative commons license. CC BY 2.0.

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