Schokolade: zwischen Waldrodung, Kinderarbeit und globaler Regulierung – Die Schattenseiten der süßen Versuchung.

Egal ob Ostern oder Weihnachten: Viele Feste scheinen einen gemeinsamen Inhalt zu haben – Schokolade, wohin das Auge reicht. Doch woher diese Schokolade kommt, wie sie produziert wird und welche Auswirkungen die Produktionsbedingungen auf die Kakaoanbauenden haben, wissen nur die wenigsten. Diesen Fragen stellten sich Jan Grumiller und Hannes Grohs (beide Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung, ÖFSE) in ihrem Forschungsprojekt zur Nachhaltigkeit in der Kakao- und Schokoladenwertschöpfungskette (KS-WSK). Über die Ergebnisse der ÖFSE-Studie sowie die Probleme, Herausforderungen und Lösungsansätze wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Michael Odijie (University College London), Friedel Hütz-Adams (Südwind Institute Bonn) und Sarah Dekkiche (International Cocoa Initiative) diskutiert.

Woher kommt der Kakao?

Die Reise der Schokolade beginnt meist in den westafrikanischen Ländern Côte d’Ivoire und Ghana, die zusammen 60 Prozent der Kakaobohnen weltweit erzeugen. Ihre Wirtschaft ist stark auf die Produktion und den Export der Bohne ausgerichtet, wodurch die Landwirtschaft auch die Haupteinkommensquelle ist. Dies stellt sich dann als problematisch heraus, wenn bestimmte wirtschaftliche oder natürliche Bedingungen die Weltmarktpreise für Kakaobohnen senken und sich damit auch die ohnehin schon niedrigen Löhne noch weiter verringern. Diese schlechte Bezahlung stellt einen zentralen, wenn auch nicht den einzigen Grund für die starke Verbreitung von Kinderarbeit in den beiden Ländern dar. Grumiller und Grohs deklarieren, dass laut der University of Chicago rund 790.000 Kinder in der Côte d’Ivoire und 770.000 Kinder in Ghana in der Kakaoproduktion tätig sind. In der Côte d’Ivoire entspricht das 38 Prozent aller Kinder, welche in landwirtschaftlichen Haushalten leben, in Ghana 55 Prozent. Etwa 95 Prozent aller Kinder sind dabei gefährlichen Arbeiten mit scharfen Gegenständen oder Pestiziden ausgesetzt. Aber nicht nur die Kinderarbeit, sondern auch die Abholzung der Wälder ist eine negative Folge des unregulierten Kakaoanbaus. Laut Zahlen der Weltbank wurde etwas mehr als 25 Prozent der Wälder in beiden Ländern in den letzten 30 Jahren für den Kakaoanbau gerodet. Weiters haben sich auch viele Anbauende in Schutzgebieten niedergelassen. Laut Grumiller und Grohs bedarf es für deren Umsiedlung sowohl wirtschaftlicher und sozialer Alternativen als auch neuen Wohnraum, um die Entwaldung einschränken zu können.

Vor allem in den letzten Jahren wurden immer wieder Initiativen gestartet, um zu versuchen, diesem Geflecht an Herausforderungen gerecht zu werden. Beispielsweise wurden freiwillige unternehmensinterne Nachhaltigkeitsinitiativen und privatwirtschaftlich definierte Zertifizierungsstandards in den Unternehmen der Weiterverarbeitung eingesetzt. Die ÖFSE-Studie stellt jedoch fest, dass diese keine strukturelle Veränderung auslösten.

Die Retter in der Not? Zwei Lösungsansätze.

Die Problematiken der Wertschöpfungskette von Kakao und Schokolade haben viele unterschiedliche Dimensionen, die alle miteinander verknüpft sind. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, gibt es derzeit zwei unterschiedliche Ansätze: zum einen die Initiative des Living Income Differential (LID; dt. Zusatzbetrag für ein existenzsicherndes Einkommen) in kakaoexportierenden Ländern, und zum anderen die Due Diligence Legislation (dt. Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht) für die Unternehmen in der Lebensmittelindustrie im Globalen Norden. Beide Regulierungen sollen unterschiedliche Teilaspekte der KS-WSK bearbeiten.

Die LID-Initiative ist ein bilaterales Kooperationsabkommen, welches 2018 von Ghana und der Côte d’Ivoire unterzeichnet wurde. Es verfolgt vor allem das Ziel, die Kakaopreise und damit das Einkommen der Bäuer*innen zu erhöhen. Die Kakao-Regulierungsbehörden der beiden Länder können dabei die Erzeugerpreise festlegen. 2019 schlugen die Behörden vor, einen Mindestausfuhrpreis von 2600 US-Dollar (USD) pro Tonne zu bestimmen. Dieser Vorschlag wurde jedoch von den multinationalen Unternehmen abgelehnt. Schlussendlich einigte man sich auf einen LID von 400 USD pro Tonne, welcher zusätzlich – unabhängig von den aktuellen Weltmarktpreisen an den Rohstoffbörsen – zu dem Einkaufspreis bezahlt werden muss. Außerdem erklärten sich die Behörden bereit, 70 % des Mindestexportpreises von 2.600 USD pro Tonne als Mindesterzeugerpreis, wiederum unabhängig von den Weltmarktpreisen an den Rohstoffbörsen, zu zahlen.

Die Due Diligence Legislation legt hingegen ein zusätzliches Augenmerk auf die ökologischen Herausforderungen. Im November 2021 hat die Europäische Kommission diese Rechtsvorschrift vorgeschlagen, welche die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen soll. Aus diesem Grund hegen sowohl NGOs in dem Sektor der Kakaoproduktion als auch die Diskutierenden die Hoffnung, dass sich diese neuen Richtlinien auf die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit und der Entwaldung, die durch den Kakaoanbau entsteht, auswirken werden. Derzeit liegt nur ein erster Entwurf dieses Gesetzes vor und es gibt, wie auch die Podiumsdiskussion zeigen sollte, unterschiedliche Einschätzungen zu den jeweiligen Vorschlägen für die Regulierung der KS-WSK. Grumiller und Grohs fordern am Ende ihrer Studie eine Entkopplung der Erzeuger*innen- und Exportpreise von den Weltmarktpreisen an den Rohstoffbörsen, wodurch die Löhne der Anbauenden gesichert werden könnten.

„Ist das Glas halb voll oder halb leer?“

Die Podiumsdiskussion begann mit einer Bewertung der regulatorischen Veränderungen der letzten Jahre, welche die Diskutierenden als zu langsam und zu gering einschätzten. Friedel Hütz-Adams meinte etwa, es wäre vor allem sinnvoll, den landwirtschaftlichen Anbau zu diversifizieren und sich nicht mehr nur auf Kakao zu fokussieren. „Wir brauchen eine Diskussion über die Dekommodifizierung von Kakao und über Menschenrechte“, forderte er. Michael Odijie lenkte die Diskussion vor allem auf den Aspekt der Kinderarbeit und strich den Kinderhandel in der Côte d’Ivoire besonders hervor. Auf diesen solle man sich in den Regulierungsvorschlägen noch viel mehr konzentrieren, gab er zu bedenken. Ebenso kritisierte er Jan Grumiller und Hannes Grohs für die zu kurz gekommenen Fragen nach den Produktionskosten für die Bauern in ihrer Forschung und konstatierte, dass ihre Forderungen nach einer Entkopplung von Erzeuger*innen-und Weltmarktpreisen unrealistisch sei. Sarah Dekkiche strich anschließend hervor, dass es neben einer Erhöhung der Löhne auch verbesserte Rahmenbedingungen brauche. Ihrer Meinung nach könne man die bisherigen Maßnahmen sowohl als positiv als auch negativ einschätzen, da sich die Lage der Produzent*innen zwar ein wenig verbessert hätte, jedoch bei weitem noch nicht genug. Systeme zur Überwachung und Beseitigung von Kinderarbeit (Child Labour Monitoring and Remediation Systems, CLMRS) seien ein essenzieller Bestandteil eines funktionierenden regulatorischen Systems für die Kakaoproduktion. Wichtig sei es jedoch, diese Systeme auszuweiten und überall zu implementieren, um weitreichende Veränderungen zu gewährleisten.

„Das Glas ist einfach zu klein!“

In der zweiten Runde der Diskussion stand die vor der parlamentarischen Debatte stehende Due Diligence Legislation im Vordergrund. Der Entwurf würde derzeit erlauben, die Überwachung der Einhaltung von Standards an Drittunternehmen abzugeben, was von allen Diskutierenden heftig kritisiert wurde. Dies würde die Unternehmen nicht zu weitreichenden Veränderungen, auch innerhalb der eigenen Strukturen, bringen, sondern die Verantwortung auf die Unternehmen, welche die Überprüfungen durchführen, umlagern. Ein zentrales Problem dieses privatwirtschaftlich regulierten Ansatzes besteht nämlich darin, dass die Prüfer*innen vom zu überprüfenden Unternehmen beauftragt und bezahlt werden, was tendenziell dazu führen kann, dass das Urteil weniger kritisch ausfällt. Denn die Überprüfer*innen haben verständlicherweise Interesse daran, den Auftrag auch beim nächsten Mal zu erhalten, was bei einer von öffentlichen Institutionen durchgeführten Kontrolle nicht der Fall wäre. Die Diskussionsteilnehmer*innen befürchteten, dass so ein zusätzliches Glied der Wertschöpfungskette geschaffen würde, währenden den Anbauenden weiterhin ein größeres Stück des Kuchens verwehrt bliebe. Hütz-Adams deklarierte daher, dass bei einer Implementierung des derzeitigen Gesetzentwurfes wieder nur oberflächliche Veränderungen entstehen und das Glas somit nie groß genug werden würde, um die Situation der Anbauenden zu verbessern.

Inwieweit die Forderungen von Grumiller und Grohs tatsächlich umsetzbar wären, blieb am Ende der Veranstaltung eher offen. Trotz alledem bestand Einigkeit vor allem darin, dass die Due Diligence Legislation dringend benötigt werde, die Implementation jedoch auch ihre Schwierigkeiten hervorbringen würde. In diesem Zusammenhang wurden vor allem die Überwachung der Einhaltung und die Sanktionierung von Verstößen genannt. Eine Ausweitung des CLMRS, sowie die Diversifizierung der Landwirtschaft wie auch gesetzlich weitrechende Regulierungen für die Arbeitsbedingungen und bestimmte Mindestpreise scheinen gute Ansatzpunkte für die notwendige Veränderung zu sein. Durch diese bestünde die Möglichkeit, dass das Glas weder halb voll, noch halb leer, sondern endlich groß genug wäre.

Die Autorin ist Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

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