Can Decreix – Ein Post-Wachstums Labor in Frankreich.

Die ganze Welt ist von KapitalistInnen besetzt. Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Postwachstums-AktivistInnen bevölkerter Ort hört nicht auf, Widerstand zu leisten. François Schneider setzt im französischen Cerbère Postwachstum im Kleinen um. Im Gespräch gibt er Einblick. 

François Schneider und Hristo Balkanski leben und arbeiten im südlichsten Festlandorf Frankreichs in einem Häuschen mit Weingarten und Hausnamen Can Decreix, was auf Deutsch etwa “Zum Post-Wachstum“ bedeutet. Sie beginnen den Tag mit Yoga oder Arbeit im Weingarten, backen Brot in solar-betriebenen Öfen, schleudern die Waschtrommel mit dem Fahrrad und verwenden Asche als Geschirrspülmittel. Als VertreterInnen der Post-Wachstums-Bewegung üben sie Kritik am unendlichen Streben nach Wirtschaftswachstum, das die sozial-ökologischen Verhältnisse überstrapaziert. Sie fordern gesellschaftlichen Wandel und globale soziale Gerechtigkeit innerhalb der ökologischen Grenzen – und beginnen bei sich selbst.

Monika Austaller: Sie sind einer der Gründer der Post-Wachstums Bewegung. Wie fing alles an, in der Wissenschaft oder in der Praxis?

François Schneider: In unsere ersten Aktionen waren viele PraktikerInnen involviert. Wir waren eine Gruppe von Leuten in Lyon und engagierten uns gegen Autos. Vincent Cheynet und Bruno Clémentin begannen eine Kampagne gegen Werbung und dann kamen wir auf das Konzept des nachhaltigen Post-Wachstums. Diese Gruppe von AktivistInnen arbeitete später auch wissenschaftlich zu dem Thema. Das war also der Ursprung, danach brachten sich mehr und mehr Leute ein, etwa Serge Latouche. 2008 beschloss ich mit ein paar Freunden, eine wissenschaftliche Konferenz zu initiieren, weil wir das Thema in der Wissenschaft stärken wollten. Zur Zeit fühlt es sich so an, als würde sich in der Bewegung alles um Wissenschaft drehen.


Monika Austaller: Was ist dein beruflicher Hintergrund?

François Schneider: Ich habe ein Doktorat am ökologischen Institut von Lyon gemacht. Danach habe ich in Österreich gearbeitet, in St. Pölten und in Wien. Ich habe in verschiedenen Kontexten gearbeitet, war aber immer auch Aktivist. Daher entschied ich mich, ein Jahr lang mit einem Esel durch Frankreich zu touren. Ich wanderte durch Dörfer und Städte, um mit Menschen über Post-Wachstum zu sprechen. Alle drei Tage gab es eine kleine Konferenz oder ein Treffen. Dazwischen wurde ich oft eingeladen, das war eher spontan. Ich war 14 Monate lang unterwegs. Schließlich endete die Tour mit einer Demonstration in Nevers in der Mitte Frankreichs. Sie dauerte einen Monat und am Ende nahmen 500 Menschen teil.

Monika Austaller: Gab es einen Punkt, an dem du genug von der Wissenschaft hattest und Aktivist wurdest?

François Schneider: Nein, ich hatte damals nicht genug von der Wissenschaft. Ich wollte einfach verschiedene Projekte angehen. Ich glaube, dass wir Wissenschaft und Praxis, Kunst und Aktivismus viel mehr verbinden müssen. Das Problem ist, dass man sich dabei selbst in eine schwierige Situation begibt. Wissenschaftliche Arbeit von jemandem, der in der Landwirtschaft arbeitet, wird nicht so ernst genommen. Umgekehrt wird auch in der Praxis jemand, der intellektuell arbeitet, nicht so geschätzt. Das ist schwierig, aber wir werden es lösen müssen, weil es sehr wichtig ist!

Monika Austaller: Wie versuchst du die Ideen zu Post-Wachstum in Can Decreix umzusetzen?

François Schneider: Wir sind ein Ort am Land ohne Auto. Das ist schon einmal etwas Besonderes. Wir versuchen, kleine Techniken kohärent anzuwenden, um unser menschliches Einwirken für unsere Umwelt verträglich zu machen. Zum Beispiel verwenden wir Holzabfälle von unseren Weinreben im Winter zum Heizen. Die Asche mischen wir dann mit Wasser und waschen damit unsere Kleidung. Danach düngen wir die jungen Pflanzen mit demselben Wasser. Wenn sie gewachsen sind, schneiden wir sie und verwenden das Holz wieder zum Heizen. Es ist also ein Mix aus Recyceln, Prävention und Sparen.

Monika Austaller: Versucht ihr, durch Subsistenzwirtschaft zu leben?

François Schneider: Nein, wir wollen keine SelbstversorgerInnen sein. In dieser Gegend ist es sehr schwierig. Daher macht es keinen Sinn, Essen komplett selber zu produzieren. Außerdem ist es nett, organische ProduzentInnen aus der Umgebung zu unterstützen. Wir sehen uns mehr als einen Ort, an dem wir ein kleines Post-Wachstums-System kreieren. Aber dieses System beinhaltet auch die wissenschaftlichen Konferenzen, die Summer School, Leute die kommen und mitarbeiten. Wir verstehen uns nicht als geschlossenes System.

Monika Austaller: Wie sieht ein typischer Tag in Can Decreix aus?



François Schneider:
Ich glaube es gibt gar keine typischen Tage hier, weil sich immer etwas ändert. Wir müssen uns sehr an die Bedingungen anpassen. Wenn es windig oder sehr heiß ist, erledigen wir mehr drinnen. Wir haben viele kleine Aufgaben, die sind nicht schwierig und brauchen auch nicht viel Zeit, aber man muss sie trotzdem genau machen. Deshalb müssen wir im Team gut organisiert sein. Etwa beim Brotbacken: Wir müssen dem Sauerteig Mehl zuführen, der Teig muss in den Ofen, zuerst um ihn gehen zu lassen. Nach drei Stunden muss ihn jemand umdrehen und backen.

Monika Austaller: Verdient ihr Geld?

François Schneider: Auf Can Decreix verdienen wir nicht viel, wir leben sehr sparsam. Unterstützung bekommen wir von Menschen, die vorbeikommen. Wir organisieren kleine Projekte und Events und machen kleine Jobs außerhalb. Mein Kollege arbeitet in Weingärten, ich verdiene etwas als Pressekorrespondent dazu.

Monika Austaller: Die Feenfrage…was würdest du dir wünschen?

François Schneider: Ein großer Wunsch wäre, dass die alternative Bewegung versteht, dass wir uns ernsthaft besser organisieren müssen. Natürlich sollten wir die Freiheit im Denken beibehalten, aber wir sollten uns mit Methoden wie Soziokratie oder Holokratie organisieren. Wir denken, es wird schon gehen, wenn jeder sein Ding macht, aber das stimmt nicht. Wir müssen sicher gehen, dass wir auf horizontaler Ebene zusammenarbeiten. Wenn wir uns nicht selbst organisieren, wird es irgendein Chef tun, und das will ich nicht. Das Bewusstsein dafür fehlt – das ist dramatisch! Wir müssen so schnell wie möglich handeln, um mit der kommenden Krise klarzukommen. Je mehr Menschen sich in Projekten wie Can Decreix engagieren, desto besser.

Monika Austaller: Gibt es einen Luxus, den du hier noch immer genießt und nicht aufgeben möchtest?

François Schneider: Jaja, viele…wir haben Wein! (lacht)

 

Die Autorin studiert Socio-Ecological Economics and Policy und ist Mitglied im Online-Redaktionsteam. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at



 

Weiterführende Links:


–    Zur Homepage von Can Decreix: http://candecreix.cat/en/

–    About François Schneider: https://degrowth.org/2011/11/28/francois-schneider/



–    On the past and future Degrowth Conferences: https://www.degrowth.info/en/conferences/conference-2018/



–    Summer School on Degrowth and Environmental Justice: https://summerschool.degrowth.org/



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