Karl Polanyi und die falsche Wende der Globalisierung.

Globalisierung hat viele Facetten und nicht alle davon sind erfreulich. Ist es angesichts intransparenter Finanzströme, Lohndruck und sinkender sozialer Standards angebracht, sich auf den Nationalstaat rückzubesinnen? Darüber sprach Ökonom Dani Rodrik bei der zweiten Internationalen Karl Polanyi Konferenz.

Harvard-Professor Dani Rodrik gilt als einer der Experten, wenn es um das Thema Globalisierung geht. Rodrik sei der einzige, dem es gelungen sei, damit bis in die Populärwissenschaft vorzudringen, bemerkte Andreas Novy (Internationale Karl Polanyi Gesellschaft IKPS, WU) zu Beginn des Vortrags.
Das große Interesse an Rodriks Polit- und Wirtschaftsanalysen zeigte sich auch am 3. Mai 2019 im ORF Radiokulturhaus in Wien. Eingeladen war Rodrik im Rahmen der zweiten Internationalen Karl Polanyi Konferenz. Rund 260 Besucher*innen füllten den Veranstaltungssaal. Gastgeber*innen waren die Internationale Karl Polanyi Gesellschaft (IKPS) und das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM).

Karl Polanyis Werk.

Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Karl Polanyi ist im deutschsprachigen Raum eher unbekannt. Polanyi lebte von 1886 bis 1964 in Wien, Budapest, den USA und zuletzt Kanada. Sein meist rezipiertes Werk ist „The Great Transformation“ (dt.: Die große Transformation) aus dem Jahr 1944. Darin analysierte er die politische Entwicklung Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er kritisierte die Unterordnung des Menschen gegenüber einem ausbeuterischen, kapitalistischen Wirtschaftssystem, welches auf lange Sicht Natur und Mensch zerstören würde – so seine These. Darüber hinaus sah er im Wirtschaftsliberalismus einen Nährboden für faschistische Entwicklungen. Vor allem die Verbindung entgrenzter Märkte und autoritärer Politik macht Polanyi heute wieder relevant. So hatte auch die Internationale Karl Polanyi Konferenz das Ziel, sich auf Polanyi rückzubesinnen und seine Theorien für die Herausforderung des 21. Jahrhundert zu nutzen.

Freier Markt vs. sozialer Schutz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945, hätte es in Europa einerseits von rechten Parteien und Sympathisant*innen die Forderung nach weniger Regulierung in der Wirtschaft gegeben, andererseits forderten Linke mehr Investitionen, so Rodrik. Ziel sei etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Errichtung eines Wohlfahrtsstaats nach sozialdemokratischen Vorstellungen, aber auch die Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung gewesen. Diese beiden Motivationen verband Karl Polanyi mit der Bezeichnung des „double movement“ (dt.: Doppelbewegung). Auf der einen Seite würden wirtschaftsliberale Machthaber*innen die Vermarktlichung sämtlicher Lebensbereiche in Gang setzen, was selbst menschliche Arbeit, die Natur oder Geld zu Waren machen würde. Genau dies würde aber letztlich auch den Raubbau und die Ausbeutung von Mensch und Natur bedeuten und daher „countermovements“ (dt.: Gegenbewegungen) hervorbringen. Diese würden wiederum eine (re-)regulierte Wirtschaft und sozialen Schutz fordern. Die beiden Interessen seien demnach ständige Gegenspieler. Die Finanzkrise von 2008 erwähnte Rodrik als deutliches Zeichen für die aktuelle Hochkonjunktur des Wirtschaftsliberalismus. In einer derartigen Situation würde das soziale Schutzbedürfnis – Rodrik spricht hier von „ökonomischer Angst“ – in der Bevölkerung wieder größer.

Direkte Demokratie vs. „Global Governance“

Durch die Entwicklung der Europäischen Union (EU) habe sich die Lage in den letzten Jahrzehnten zusätzlich verschärft. „Es ist grundsätzlich nichts Falsches daran, Aufgaben zu delegieren, wenn damit Demokratie gefördert wird“, hielt Rodrik in diesem Zusammenhang fest. Doch besonders seit 1999 würden viele der nach Brüssel verlagerten Kompetenzen nicht mehr der breiten Bevölkerung dienen. Durchsetzen würden sich stattdessen „Spezialinteressen“ einer kleinen, reichen Gruppe, kritisierte Rodrik. Ein Beispiel sei die niedrige Besteuerung von Kapital. Sozialer Schutz sei kaum noch das Anliegen dieser „Verantwortungsdelegation“, was schwere Folgen nach sich ziehe. Das neoliberale Wirtschaften drohe viele Menschen zu prekarisieren, wofür sie nun Schuldige suchen würden. „Wir Ökonom*innen sprechen ja gerne von Angebot und Nachfrage. Man könnte sagen, es gibt derzeit eine große Nachfrage nach Populismus“, meinte Rodrik mit einem Augenzwinkern. Rechte wie linke populistische Parteien würden jenes Unbehagen innerhalb der Bevölkerung aufgreifen und unterschiedliche Ideologien „anbieten“, um die Angst der Menschen zu kanalisieren.

Kultureller vs. ökonomischer Populismus.

Hier kommt Rodrik aber zu einer wesentlichen Differenzierung. Eine Sorte von Populist*innen würde Hass und Angst auf eine kulturelle Ebene tragen und eine exklusive Gesellschaft nach ethno-nationalistischen Prinzipien fordern. Diese Forderungen würden aber am eigentlichen Problem vorbeigehen. Die gebotenen „Lösungen“ seien illusionär, wie auch schon Polanyi festhielt. Den Gegenentwurf bezeichnet Rodrik als „ökonomischen Populismus“. Dieser würde das Zentrum der ökonomischen Macht und somit die tatsächliche Quelle des Problems ansprechen. Es brauche in Rodriks Augen gezielt und kontinuierlich „ein bisschen von dem ökonomischen Populismus“. So könne die Business-Elite dazu gebracht werden, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen.

Globalisierung müsse in jenen Bereichen eingedämmt werden, wo sie Mensch und Umwelt zerstört. Dies sei etwa der Fall im internationalen Wettkampf „nach unten“ bei sozio-ökologischen Standards. Es gebe aber auch Bereiche, wo es gerade globale Zusammenarbeit brauche, um Mensch und Umwelt zu schützen. Rodrik erklärte den Klimawandel aus seiner Sicht zum aktuellsten und wichtigsten Beispiel, wo nur eine aufrichtige, globale Zusammenarbeit Abhilfe schaffen könne.

 

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Weiterführende Links:

Karl Polanyi Society

Dani Rodrik


 

Fotos © Joseph Krpelan

Veröffentlicht in Globale Ungleichheiten, Sozial-ökologische Transformationen.