Filmrezension: System Error. Wie endet der Kapitalismus?

Klimawandel, Bankenkrisen, stetig wachsende Ungleichheit: die Auswirkungen des kapitalistischen Systems auf Mensch und Natur sind verheerend. Dennoch lautet die vorherrschende Devise „Mehr Wirtschaftswachstum!“ Die Dokumentation „System Error. Wie endet der Kapitalismus?“ geht diesem Widerspruch nach.

Der 2018 erschienene Dokumentarfilm von Florian Opitz wurde am 14. Februar 2019 im Rahmen der Wanderausstellung „Endlich Wachstum!“ im WUK – Werkstätten und Kulturhaus in Wien gezeigt.

Der Kapitalismus in seiner historischen Entwicklung.

Zu Beginn gibt der Film einen historischen Überblick der Entwicklung des kapitalistischen Systems. Es beginnt mit Wachstum durch Massenproduktion in der Kriegsindustrie im zweiten Weltkrieg und geht über zum „Goldenen Zeitalter des Kapitalismus“. Dieses meint das starke Wirtschaftswachstum in westlichen Ländern wie den USA, Frankreich und Westdeutschland nach Ende des zweiten Weltkrieges bis in die 1970er Jahre. In dieser Zeit wird erstmals nicht mehr das reale Einkommen der Bürger*innen zur Beschreibung von Wohlstand herangezogen, sondern Wachstumsstatistiken. „Das Bruttoinlandprodukt wird zur mächtigsten Kennzahl der Geschichte“, heißt es sehr treffend im Film. Mitte der 19070er Jahre markieren die Ölkrise sowie die Entwicklung des Finanzkapitalismus einen weiteren historischen Einschnitt in der Entwicklung des Kapitalismus. Um weiter zu wachsen, wurde Macht von der Politik an die Finanzmärkte abgetreten. Im letzten Kapitel behandelt der Film die Bankenkrise von 2008. Bankenkrisen seien als Staatsschuldenkrisen präsentiert worden um Sparmaßnahmen bei der Bevölkerung durchsetzen zu können und das Überleben des kapitalistischen Systems zu garantieren.

Verschiedene Zugänge zu Wachstum.

Neben der historischen Entwicklung kommen auch Profiteure und Apologeten des kapitalistischen Systems wie etwa Hedgefonds- und Ex-Berater von Donald Trump, der Präsident der chinesischen Airbus, der Chefinvestor der Allianz AG oder Brasiliens größter Hühnerproduzent zu Wort. Ihren Aussagen werden im Film Bilder von den negativen Auswirkungen des kapitalistischen Systems gegenüber gestellt. Wachstumskritiker und Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson verkörpert im Film den Gegenpol zum Glauben, dass nur Wachstum zu Fortschritt führen könne. Als roter Faden führen Zitate von Karl Marx durch den Film. Passend zu jedem neuen Kapitel, bilden sie die Leithypothesen der Dokumentation. Dem Publikum wird somit deutlich gemacht, dass die Folgen des Kapitalismus bereits vor 150 Jahren voraussehbar waren und trotzdem noch oft als die einzige Möglichkeit zu wirtschaften präsentiert wird.

Der „Club of Rome“ und die Grenzen des Wachstums.

Der Film zeigt eindrücklich, dass die Auswirkungen der kapitalistischen Art und Weise zu leben auf uns und unsere Umwelt keineswegs neu sind. Wovor Karl Marx vor 150 Jahren bereits warnte, wurde Anfang der 1970er Jahre auch vom Club of Rome (dt.: Klub von Rom; internationale informelle Vereinigung von Wirtschaftsführer*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen) aufgegriffen. Der Club of Rome gab beim Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Studie in Auftrag, in der die Ursachen und Folgen von ständigem Wachstum erforscht werden sollte. Die Ergebnisse waren so klar wie beunruhigend. Sie sagten Erschöpfung von wichtigen Ressourcen, weitgreifende Zerstörung der Umwelt und zu starkes anwachsen der Weltbevölkerung, die nicht mehr ernährt werden könne, voraus. Um diese künftigen Entwicklungen zu unterbinden, sprach sich der Club of Rome für eine Begrenzung des industriellen Wachstums aus. Die Studie wurde unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ (Originaltitel: The Limits to Growth) veröffentlicht und stieß auf kontroverse Reaktionen. Kritiker*innen warfen der Studie vor, zu politischen zu sein, Fortschritt auf Grund von Wachstum abzulehnen, die Zukunft schwarz zu malen und unrealistische Katastrophen herbei zu beschwören. Heute, so zeigt es der Film, haben sich viele dieser Voraussagen bereits bewahrheitet.

Die Auswüchse des Kapitalismus am Beispiel von Mato Grosso.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel, anhand dessen der Film die Auswirkungen von ungebremstem Wirtschaftswachstum aufzeigt, ist die Entwicklung der Agrarwirtschaft im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso. An Stelle von Regenwald und Savannen prägen heute Soja- und Maisfelder sowie Tierfarmen das Landschaftsbild der Region. Für Argino Bedin (Inhaber einer der größten Sojaproduktionen in Mato Grosso) und Carlos Capeletti (Inhaber der größten Hühner- und Schweineproduktion Lateinamerikas) scheint eines klar zu sein: das Wachstum der Agrarindustrie in Brasilien und das Ausdehnen dieses Sektors auf ehemals unberührte Natur hat ihnen viele Vorteile gebracht. Ihre Produkte werden in alle Welt exportiert. Die negativen Auswirkungen ihres Erfolges des, wie durch Monokulturen unfruchtbar gewordener Boden, die schlechten Arbeitsverhältnisse der Arbeiter*innen und die Rodung des Regenwaldes, wollen sie nicht sehen.

Gedanken und Kommentare zu den Widersprüchen des Kapitalismus.

Die Botschaft des Films war unmissverständlich: der Kapitalismus gräbt sich in seinem Streben nach immer mehr Wachstum, in immer mehr Lebensbereichen schlussendlich sein eigenes Grab, wie es Marx bereits vor 150 Jahren prophezeit hat.

Nach der Filmvorführung gab es ein Gespräch nach der Fishbowl Methode. Es kam zu keiner Diskussion im klassischen Sinne, viel eher wurden den Teilnehmer*innen der Raum und die Möglichkeit geboten, ihre Gedanken zum Film und zum Thema Wachstum zu äußern. Die Kommentare reichten vom Aufzeigen der fehlenden Frauen* im Film, über Überlegungen zum Ursprung von Wachstum bis hin zu einem möglichen Übergangsstadium auf dem Weg zur Gemeinwohlökonomie.

 

Die Autorin ist Mitglied im Redaktionsteam des Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at

 


Weiterführende Links:

Offizielle Website „System Error: Wie endet der Kapitalismus?“

Club of Rome: The Limits of Growth als PDF


Foto © Sytem Error: Wie endet der Kapitalismus?

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