Buchrezension: Revolution für das Klima.

Spätestens seit dem „skolestrejk för klimatet“ von Greta Thunberg und den daraus entstandenen „Fridays for Future“-Protesten ist die Klimabewegung sowohl Jung als auch Alt ein Begriff. In den Urlaub wird nur noch ‚grün‘ geflogen und statt Fast Fashion (dt.: schnelle Mode) wird jetzt Fair Fashion (dt.: faire Mode) gekauft. Durch die vermehrte Nachfrage nach „grünen“ Produkten erlebt aber die Greenwashing (dt.: grünwaschen) Methode einen Boom (dt.: Aufschwung). Unternehmen zielen auf ein umweltfreundliches und klimabewusstes Image ab, um mit dem Zeitgeist zu gehen und potentielle Kund*innen auf diese Weise zum Kauf zu bewegen. Und kann Fliegen wirklich grün sein, wo es doch neben Kreuzfahrtschiffen das klimaschädlichste Transportmittel ist?

Und trotz vieler richtiger Ansätze – und jenen, die Greenwashing nur zur Beruhigung des Gewissens darstellen – schwebt über all dem Euphorismus eine Illusion darüber, dass wir das 1,5 Grad Ziel erreichen werden, wenn wir nur bei uns und unserem persönlichen Konsumverhalten anfangen. Eine ähnliche, weit verbreitete Annahme bezieht sich auf die politischen Handlungsspielräume: Politiker*innen könnten wirklich etwas bewegen, wenn sie denn nur wollten. In seinem Buch „Revolution für das Klima“ räumt der Wirtschaftsgeograph Christian Zeller aber mit diesen Illusionen auf. Er bekräftigt den Hauptslogan der neuen Klimabewegung „system change not climate change“ (dt.: Systemwandel statt Klimawandel), arbeitet aber in einer ökosozialistischen Alternative heraus, wie tiefgreifend die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen sein müssten, um einen effektiven nachhaltigen Klimaschutz durchzusetzen.

Neue Technologien – ja! Aber bitte mit Vorsicht.

„Weniger produzieren, gerecht teilen, gemeinsam entscheiden, um besser zu leben“ (S. 82) – das ist Christian Zellers Devise für einen Umbau der Produktion. Dies ist nur ein inhaltlicher Bestandteil des von ihm vorgeschlagenen Ökosozialismus als Alternative zum neoliberalen kapitalistischen System. Genau hier liegt das Problem: Die ökologische Krise bildet das Zentrum eines gewaltigen Tauziehens um unsere Zukunft. Auf der einen Seite stehen die planetaren Grenzen des stetigen kapitalistischen Wachstums, auf der anderen Seite die endlose Akkumulationsdynamik des Kapitals. Im Jahr 2018 stellte der Weltklimarat (IPCC) vier Szenarien zur Emissionsreduzierung vor – gerichtet sowohl an die Regierungen als auch an die Weltöffentlichkeit. Aber: Diese Pfade stützen sich auf einen funktionierenden Markt und „sehen keine sozioökonomischen Strukturreformen vor“ (S. 17). Zudem setze der IPCC auf einen massiven Einsatz von CSS-Technologien (carbon capture and storage, dt. Kohlenstoffabscheidung und -speicherung). Zum Erreichen der Ziele würden ab 2050 innovative Technologien eingesetzt, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen –das erscheint Zeller jedoch nicht realistisch. Der Autor selbst macht deutlich, dass er gerade kein großer Befürworter von neuen Technologien bzw. der reinen Fokussierung auf diese sei, denn auch dadurch würde die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise nur weiter betrieben – und gerade von dieser müsse in einer ökosozialistischen Alternative Abstand genommen werden. Um der Klimakrise effektiv entgegenzusteuern, dürften wir uns nicht nur auf zukünftige Entwicklungen und Innovationen verlassen. Die Klimabewegung müsse den Kampf gegen die etablierten politischen Kräfte aufnehmen, um die massive Erderhitzung und Klimakatastrophe abzuwenden.

Klassenbewusstsein und Klimakrise – wie hängt das zusammen?

Christian Zeller macht deutlich, dass die kapitalistische Produktionsweise überwunden werden muss. Kapital stellt für ihn ein gesellschaftliches Verhältnis dar, das „einerseits Ausbeutung der Arbeit und andererseits Raubbau an der Natur“ bedeutet (S. 33). „Ohne die eingesetzte und ausgebeutete Arbeit“ (ebd.) und den Rohstoffraub an der Natur wäre das Kapital also nichts wert. Deshalb braucht es die lohnabhängige Klasse, die für Zeller die Durchsetzungssubjekte darstellt und damit diejenigen sind, die Veränderungen maßgeblich mit durchsetzen können. Diese Lohnabhängigen haben nach Zeller so das Potenzial, einen industriellen Umbau voranzutreiben, um effektiv die Treibhausgasemissionen zu senken und eine konsequente Klimapolitik zu fordern. Vorher aber müssen sich die Lohnabhängigen ihrer sozioökonomischen Positionierung bewusst werden, um so einen Prozess der Selbstermächtigung zu durchlaufen. Denn das Klassenbewusstsein entsteht durch Kämpfe. Und erst mit diesem Bewusstsein würden sie verstehen, dass die Forderungen im Bereich der Arbeitsbedingungen mit den Zielen einer konsequenten Klimapolitik im Bereich der Arbeitswelt zusammenhängen (vgl. S. 36f.). Erst sobald die Lohnabhängigen gemeinsam für effektive Klimamaßnahmen kämpfen, wird der politische Druck auf die herrschenden Klassen und ihre politischen Vertreter*innen wirksam. Die kapitalistische Produktionsweise ist damit nicht nur für die Arbeitsverhältnisse und den damit einhergehenden Rohstoffabbau verantwortlich, sondern spaltet die Gesellschaft tief. Während die Regionen und Eliten, die es sich leisten können, sich vor den Folgen der Erderhitzung und der Klimakrise schützen können, sind es die ärmeren Regionen, denen diese Möglichkeit verwehrt bleibt. Es trifft die am härtesten, die am wenigsten für den Ausstoß von Treibhausgase verantwortlich sind. Zellers Forderung nach einer „Gesellschaft, die weniger und anders produziert, weniger transportiert, mehr Sorge für die Menschen und die Natur trägt, den gesamten Reichtum teilt und gemeinsam entscheidet“ ist damit die Grundlage der von ihm vorgeschlagenen ökosozialistischen Alternative.

Ökosozialismus – was ist das?

Der Titel des Buches ist Programm beim Ökosozialismus: Die Revolution für das Klima kann nur erfolgreich sein, wenn durch sie mit den Zwängen der Kapitalakkumulation gebrochen wird. In der Folge bedeutet das, die Produktion, den Verkehr, die Städte und das Finanzsystem systematisch umzuwälzen. Deshalb ist es notwendig, dass sich die sozialen Bewegungen zusammentun, denn nach Zeller haben die ökologische, die gewerkschaftliche und feministische Bewegung den Widerstand gegen dasselbe System gemeinsam. Im Ökosozialismus soll die Gesellschaft frei von „Zwängen der Konkurrenz und des Profits, des Privateigentums über Produktionsmittel und des Geldes sowie des Staates und seiner Unterdrückungsorgane und Grenzen“ sein. Und genau das ist ein Problem: Hinter allen (transnationalen) Konzernen und Banken stecken Eigentümer*innen, die ihr Vermögen um jeden Preis zu schützen wissen. Ein Systemwandel impliziert also viel mehr als einen bloßen Regierungswechsel und betrifft die Gesellschaft im Ganzen. Für Zeller steht die Produktion im Vordergrund. Denn die momentane „Art des Produzierens und Konsumierens verschwendet Ressourcen und ist energieaufwendig“ (S. 96).

Umbau ohne Verluste.

Im Fokus eines Produktionsumbaus steht im ökosozialistischen Sinne der Rückbau und die Vergesellschaftung der Automobil- und Rüstungsindustrie. Dieser sollte aber so organisiert sein, dass es weder Arbeitsplatzverluste noch Lohneinbußen gibt. Nach Zeller muss sich die Klimabewegung geeint und entschlossen gegen Aufrüstungsbemühungen positionieren. Ob ein „kompletter Rückbau des militärisch-industriellen Komplexes in etwa einem Jahrzehnt“, so die konkrete Forderung des Autors, tatsächlich realistisch sein kann, sei dahingestellt. Zumal es bis dato keine Abrüstungsinteressen von niemandem gibt – und angesichts der aktuellen Ukraine-Krise oder des Konflikts zwischen den USA und China um umstrittene Seegebiete im Südchinesischen Meer rückt diese Forderung noch weiter in den Hintergrund. Dass aber in der Tat die Rüstungsmaschinerie und in Folge die Armeen die größten institutionellen Emittenten von Treibhausgasen sind, muss dringend in den Fokus gerückt werden.

Ein Einstieg, aber keine Rettung.

Christian Zellers „Revolution für das Klima“ kann kritisch diskutiert werden. Zweifellos ist es für viele angehende Aktivist*innen eine wertvolle Lektüre, die in die grundlegenden Begrifflichkeiten und Zusammenhänge einführt und gleichzeitig kritisch zur Reflexion des grünen Kapitalismus anregt. Während im ersten Teil des Buches viele Ausführungen und Erklärungen streckenweise ermüdend sind, fokussiert der Autor im zweiten Teil auf Lösungsvorschläge für seine Thesen – trotzdem fehlt es an fundierten wissenschaftlichen Belegen dafür. Wenn man in einem ökosozialistischen Alternativszenario die fossilen Brennstoffe unangerührt ließe und die großen Kohle-, Öl- und Gaskonzerne daran hindern würde, wirksame Klimapolitik zu blockieren, argumentiert Zeller, dann wäre es innerhalb von zehn Jahren möglich, eine zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basierende Wirtschaft zu schaffen. Einsteiger*innen in das Thema stellen sich an dieser Stelle wohl die Frage, auf welche Blockaden Zeller sich hier bezieht und auf welcher Grundlage der Zeitraum von zehn Jahren basiert. Gibt es Daten, die dieses Szenario belegen?

Viele Erklärungen sind nicht ausreichend genug, als dass sie wirklich überzeugen oder Hoffnung darauf machen, dass durch eine ökosozialistische Alternative das Klima tatsächlich gerettet werden könnte. „Was wäre wenn…“ das beschreibt die Botschaft des Autors wohl am treffendsten. Die von Zeller formulierten Maßnahmen und Umsetzungsmöglichkeiten erscheinen zu umfangreich und einschneidend, als dass sie innerhalb weniger Jahre tatsächlich umgesetzt werden könnten. Zumal weder die Regierungen noch die maßgeblichen Verursacher*innen den Rückbau der Produktion anstreben oder die Rüstungsindustrie vollständig aufgeben wollen. Zu groß ist der Einfluss durch Lobbyist*innen und jene Politiker*innen, die auf der Gehaltsliste der Energiekonzerne stehen. Der im Buch geforderte zeitliche Rahmen für die Veränderungen ist nur vage formuliert; dabei wird aber offen gelassen, was passiert, wenn es zu Verzögerungen kommt (was nicht unwahrscheinlich ist). Außerdem bietet der Autor leider keine Vorschläge an, wie die Lohnabhängigen mobilisiert oder unterstützt werden könnten, obgleich die von ihm propagierte ökosozialistische Alternative doch von unten durchgesetzt werden soll. „Revolution für das Klima – Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen“ ist 2020 im Verlag oekom erschienen. Wer selbst für den Klimaschutz aktiv werden möchte, findet in diesem Buch ein Nachschlagewerk für die wichtigsten Diskussionspunkte zur Klimakrise. Für alle die es bereits sind, ist die Lektüre wohl eher ermüdend.

 

Die Autorin ist Mitglied des Redaktionsteams. Reaktionen bitte an office@pfz.at.

Weiterführende Links:

Zum Buch „Revolution für das Klima“ im oekom Verlag.

 

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