Wer Klimaschutz denkt, denkt auch Digitalisierung?

Teil 2 der Artikelreihe über das SDG Dialogforum Österreich 2021.

Im zweiten Teil des SDG Dialogforums moderierte PULS4 Info-Chefin Corinna Milborn im Naturhistorischen Museum ein Gespräch zwischen Politiker*innen und Expert*innen über die Umsetzung der SDGs in Österreich.

Zum Teil 1.

Filmregisseur gegen das Insektensterben.

Ein künstlerischer Beitrag von Edgar Honetschläger fungierte als Übergang von den Gesprächen der zivilgesellschaftlichen Arbeitsgruppen zur Diskussion zwischen Politiker*innen, die mit der Umsetzung der SDGs betraut sind. In einem gezeichneten Video klärt der österreichische Filmregisseur über das Insektensterben auf. 80 Prozent seien schon verloren. Mit liebevoll krakeligen Zeichnungen stellt er den Zusammenhang zwischen dem Wohlergehen der Insekten, der Bestäubung von Pflanzen, und dem Weiterbestehen der Menschheit auf. Er fordert dazu auf, gemeinsam Land zu kaufen, um eine menschenfreie Zone zu ermöglichen. In dieser dürfe nicht gebaut, geschürft oder gemäht werden. Dort dürfe die Natur einfach sein. Mit pointierten Sätzen bringt er seine Message auf den Punkt: „Der Mensch ist nicht die Krönung der Schöpfung.“ „Jeder Wurm hat dieselbe Lebensberechtigung wie wir.“ Und: „Die Natur kann ohne uns, aber wir nicht ohne sie.“

Club 2-Format mit Corinna Milborn.

Danach begrüßte PULS4 IModeratorin Corinna Milborn zu einer von der Sendung Club 2 inspirierten Diskussionsrunde. Zu Gast waren: Nicola Brandt (Leiterin des OECD Berlin Centre), Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, Umweltministerin Leonore Gewessler, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Antonella Mei-Pochtler (Spezialbeauftragte des Bundeskanzleramts). Die Fragen aus den Innovation Pools, den zivilgesellschaftlichen Arbeitsgruppen im Vorfeld, zu den Themen Digitalisierung; Klimaschutz und Klimawandelanpassung; Frauen, Jugend und „Leaving no one behind“; und Österreich im globalen Kontext wurden hier aufgegriffen.

Selbstkritische Gewessler zu Klimapolitik.

Auf die Frage, warum in Österreich ein so niedriger CO2 -Tonnen-Preis diskutiert werde, antwortete Gewessler: Die Covid-Krise zeige Veränderungsbereitschaft in der Bevölkerung, allerdings gäbe es sehr unterschiedliche Interessensgruppen. In Schweden koste die Tonne CO2 über 100€ bei höheren Wachstumsraten als in Österreich – wenn man denn diesen Indikator anschauen wolle. Mei-Pochtler warnte, dass die CO2 -Bepreisung kein Allheilmittel sei. Edtstadler plädierte für eine stufenweise Einführung des CO2 -Preises und Brandt stimmte zu: Schweden sei zwar jetzt bei 120€, habe aber schon zu Beginn der 90er mit 25€ begonnen. Ein sozialer Ausgleich sei dabei essentiell.
Gewessler zeigte sich selbstkritisch bei der österreichischen Klimapolitik: Bei erneuerbaren Energien sei Österreich tatsächlich gut. Allerdings habe es als eines von sechs EU-Ländern es nicht geschafft, das CO2-Ziel zu erreichen und müsse hier nachbessern: „Österreich ist auf Aufholjagd.“ Es brauche Regulierung, Förderungen und ein Durchringen etwa zur Entscheidung, Öl- und Gasheizungen durch nachhaltige Technologien zu ersetzen. Klimafreundliche Entscheidungen von Konsument*innen dürften nicht schwierig und teuer sein. Die Ministerien müssten dafür gute Rahmenbedingungen schaffen.

Sorgearbeit während Pandemie wieder weiblicher.

Brandt berichtete, dass Ungleichheiten während der Corona-Krise sichtbarer und größer wurden. Insbesondere Kinder und Jugendliche hätten vermehrt mit psychischen Problemen zu kämpfen. Auf Milborns Frage, wie es mit Therapieplätzen auf Krankenschein aussehe, antwortete Mückstein: In der Pandemie wurde der Soforthilfe gegenüber Bemühungen zur Systemumstellung der Vorzug gegeben. Etwa wurde in Entschädigung für Kurzarbeit investiert. Traditionelle „Frauenarbeit“, nämlich Care-Arbeit, wurde in der Pandemie wieder mehr von Frauen übernommen, stellte Milborn in den Raum. Brandt ergänzte: Laut Umfragen befürworten in Deutschland nun weniger junge Männer, dass Frauen Karriere machen wollen. Mei-Pochtler sprach gar von einer Retraditionalisierung in Österreich und einem Schritt zurück von einer ohnehin nicht zufriedenstellenden Situation. Mückstein, der an dieser Stelle schmunzelnd „Quotenmann“ genannt wurde, plädierte für Anreize für eine Karenz beider Elternteile. Die Hälfte der Alleinerzieher*innen sei armutsgefährdet. Pensionssplitting könnte hier einer Altersarmut vorbeugen.

Gegen patriarchale Rollenbilder.

Milborn verwies auf einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen: In Österreich seien dieses Jahr schon 22 Frauen ermordet worden, meist von ihrem ehemaligen Partner. Edtstadler betonte, neben Opferarbeit sei auch Täterarbeit wichtig. Rollenbilder müssten sich ändern. Sehr oft – wenn auch nicht immer – seien diese mit einem Migrationshintergrund verbunden. Daraufhin korrigierte Milborn, die österreichischen Frauenmorde seien 50/50 von Männern mit Migrationshintergrund und „eingesessenen Österreichern“ verübt worden. Die wichtige Rolle der Medien für eine Erziehung hin zu Gleichberechtigung betonte daraufhin Mei-Pochtler. Sie sprach sich zudem gegen eine Arbeitszeitverkürzung und für flexible Vollzeitjobs aus. Woraufhin Gewessler davor warnte, Lebensumstände zu generalisieren – ein*e Schichtarbeiter*in könne nicht mal eben ihr Kind abholen und dann wieder zurückkommen.

Multilateralismus nicht totreden.

Auf die Frage, welche Stärken Österreich in der Entwicklungszusammenarbeit habe, antwortete Mei-Pochtler, dass Österreich als Partner des Welternährungsprogrammes (WFP) die Mittel für Afghanistan erhöht habe. Darüber hinaus gebe es auch private Initiativen wie das Zero Project eines österreichischen Unternehmers. Mückstein erwähnte, dass Österreich dem Iran 500.000 Impfdosen gespendet habe. Dies sei nicht ganz uneigennützig, denn die Pandemie müsse global bekämpft werden. Brandt von der OECD stimmte zu und betonte:„Ohne multilaterale Institutionen geht’s nicht!“

Land der zwei Geschwindigkeiten.

Um schließlich auf das letzte Thema, Digitalisierung, zu kommen, wies Moderatorin Milborn auf den digital gap (dt.: digitale Kluft) hin: „Nicht jede*r hat ein Smartphone. Haben wir einen Teil der Bevölkerung bereits verloren?“ Gesundheitsminister Mückstein erwiderte, dass bestimmt Leistungen wie eine elektronische Krankmeldung und eVisiten eher von jüngeren Menschen genutzt würden. Edtstadler ergänzte, dass die Pandemie ein Boost (dt.: Schub) für die Digitalisierung war. Österreich, Deutschland und Frankreich seien diesbezüglich aber weit hinten, im Vergleich zu Estland und Schweden, so Brandt. Umweltministerin Gewessler sah auch im Klimaschutz eine Chance zum digitalen Schub nach vorne. Mei-Pochtler stellte ein innovatives Unternehmen an der Schnittstelle von Klima und Digitalisierung vor, in dem durch den Einsatz von Drohnen der Borkenkäferverbreitung vorgebeugt werde. Einen Beitrag zum Erreichen der SDGs sah Edtstadler außerdem im Bereich e-Government (dt.: E-Regierung), Transparenz sowie Datenschutz.
Abschließend fasste Monika Fröhler, CEO des Ban Ki-Moon Centres und Moderatorin der Veranstaltung, den Nachmittag zusammen. Die Direktorin der UNO in Wien, Ghada Waly, lobte in einer kurzen Videobotschaft das starke Commitment Österreichs bei der Umsetzung der SDGs durch den Freiwilligen Nationalen Bericht zur Umsetzung der SDGs (FNU) und die Multi-Stakeholder Stratagie. Fröhler schloss mit einem Zitat Ban Ki-Moons: „Wir haben einen Planet A. Keinen Planet B. Und wir haben einen Plan A. Und das sind die SDGs.“

Von Multi-Stakeholder Strategie, dem Mainstreaming-Ansatz und Politikkohärenz.

Das SDG Dialogforum zielte darauf ab, die tatsächlich sehr wichtige Multi-Stakeholder Strategie zu verfolgen. In Österreich sollen die SDGs mittels derer und eines Mainstreaming-Ansatzes umgesetzt werden. Wie es um die Umsetzung der SDGs in Österreich steht, hat 2017 der Österreichische Rechnungshof geprüft. Fazit: Die Bundesregierung habe es im Regierungsprogramm 2017-2022 verabsäumt, die erwähnte Agenda 2030 mit konkreten Maßnahmen zu verknüpfen, wie Michael Obrovsky in einer Policy Note der ÖFSE 2018 berichtet. Die Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) habe nur das Mandat zur Koordinierung der Berichterstattung über die Umsetzung der SDGs – nicht aber die Koordinierung über die Umsetzung selbst. Insofern, stellte der Rechnungshof fest, führe der Mainstreaming Prozess zu einer Fragmentierung der Umsetzung, da eine zentrale Steuerung fehle. Außerdem wurde 2008 ein Leitfaden zu Politikkohärenz in der österreichischen Entwicklungspolitik erstellt, der bei den teilweise miteinander in Konflikt stehenden SDGs dringend zu beachten wäre. Maßnahmen zu einer relevanten Stärkung von Politikkohärenz wurden aber nicht getroffen. Es brauche ein nationales Lenkungsgremium, eine regelmäßige Einbeziehung der Länder und der Zivilgesellschaft. Außerdem, folgert Obrovsky, brauche es eine ehrliche Bestandsaufnahme des Status-quo, eine Lückenanalyse, eine konkrete Strategie, Mechanismen einer kohärenten Politikkoordination, Ressourcen in Form von Administration und Budget und regelmäßiges Monitoring.

Bezüglich der Multi-Stakeholder Strategie bleibt zu hoffen, dass die Zusammenarbeit nicht bei den acht Fragen pro Jahr aus den Innovation Pools bleibt, sondern dass die Zivilgesellschaft der Politik weiterhin mutige, ambitionierte Forderungen für eine globale Solidarität und ein gutes Leben für alle innerhalb planetarer Grenzen stellt. Denn die fossilbasierte Lebensweise ist nicht zukunftsfähig. Es gibt noch immer Armut. Und der Reichtum des globalen Nordens ist mit ihr eng verstrickt.

Die Autorin ist Mitglied des Redaktionsteams. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at

Weiterführende Links:
Zum Programm und Aufzeichnung des SDG Dialogforums Österreich
GoBugsGo von Edgar Honetschläger
Obrovsky, M. (2018): SDG Umsetzung in Österreich: Was es bräuchte, um vom Mainstreaming-Ansatz wirklich zu profitieren. ÖFSE Policy Note 22
Rechnungshof Österreich (2018): Bericht des Rechnungshofes: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, Umsetzung der Agenda 2030 in Österreich. Wien

TItelbild © flickr, creative commons

Veröffentlicht in Entwicklungspolitik, Globale Ungleichheiten, Gutes Leben für Alle, Genderungerechtigkeit.