Klimakrise: Die ungleichen Folgen des Verlustes von Lebensgrundlagen.

Wir leben schon längst in einem „Age of Adaptation“ (dt. Zeitalter der Anpassung). Und doch verändert sich das Klima schneller, als wir unsere Lebensweise daran anpassen könnten. Adil Najam, Umweltforscher und Experte für den Klimawandel an der Boston University, warnt vor den Folgen, die die Erderwärmung nach sich zieht. Und mehr noch: Das Versäumnis, den Ausstoß von Treibhausgasen effektiv einzudämmen, habe dazu geführt, dass die Auswirkungen der Klimakrise weltweit spürbar werden. Die Folgen des Klimawandels sind kein Zukunftsthema mehr, sondern sie betreffen bereits jetzt mehr als eine Milliarde Menschen.

Anlässlich der 26. UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow veranstaltete das VIDC am 4. November 2021 eine Podiumsdiskussion unter dem Motto „Klimakrise befeuert Vertreibung“. Zum Podium eingeladen war neben Adil Najam auch Raya Muttarak, Forschungsgruppenleiterin am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA). Die dritte Diskutantin war Jane Linekar, die beim Mixed Migration Centre in Genf tätig ist.

Rekord nach Rekord.

Jahr für Jahr werden immer häufiger neue Hitzerekorde aufgestellt. Der Juli 2021 war global der heißeste je gemessene Monat. Während die nationalen Regierungen damit beschäftigt waren, sich mit der Covid-19-Pandemie auseinanderzusetzen, habe sich die Klimakrise weiter zugespitzt, stellt Adil Najam in seiner Keynote (dt. Grundsatzrede) fest. Und dabei sollte diese äußerste Priorität haben, nicht zuletzt, weil mehr als 2,5 Milliarden Menschen ihre Lebensgrundlage als Konsequenz aus den klimatischen Veränderungen verlieren werden – und das betreffe gerade Menschen im Globalen Süden. „Wir denken, wir haben noch genug Zeit, aber machen uns damit etwas vor“, so Najam. Denn Konflikte und die Klimakrise gingen Hand in Hand. Najam wirft zwei Fragen in den Raum: Wie fordert uns Migration heraus? Was ist mit den verletzlichsten Menschen, jenen, die nicht migrieren können?

Mehr als nur heiße Luft auf der Klimakonferenz in Glasgow?

Das Klima sei immer schon ein Grund dafür gewesen, dass sich Menschen woanders hinbewegt hätten, sei es aufgrund von Klimakatastrophen oder klimatischen Veränderungen. Neu sei aber, dass die Menschheit dies beschleunige. Gibt es ein Leben „nach Paris“? Najam spielt darauf an, dass die Ergebnisse der Pariser Klimakonferenz von 2015 zwar ein großer Erfolg, die beiden daraus resultierenden Zahlen aber als unrealistisch zu bewerten seien. Zwei Zahlen: Das sind zum einen 100 Milliarden und zum anderen 1,5. 100 Milliarden US-Dollar sollen für die Klimafinanzierung mobilisiert werden – eine Summe, die bis zur Covid-19-Pandemie sehr groß schien. Durch die Pandemie sei deutlich geworden, wie schnell Maßnahmen durch die Politik umgesetzt und finanzielle Mittel freigemacht werden können – wenn die Bedrohung auch als solche wahrgenommen würde. Von der Klimakonferenz in Glasgow erwarte er sich nicht viel mehr als substanzlose Gespräche, die nicht dazu beitragen würden, das 1,5 Grad Ziel ansatzweise zu erreichen. Wünsche seien kein Ersatz für Taten, genauso wenig wie Wut.

Über den Zusammenhang von Klimakrise und sozialer Gerechtigkeit.

Die wichtigste Veränderung im Zeitalter der Anpassung ist, dass über die Auswirkungen der Klimakrise statt über Kohlenstoff gesprochen wird. Auswirkungen wie Krankheiten, die sich wie der Dengue-Moskito durch klimatische Veränderungen und menschliche Migration leichter verbreiten. Die größten Veränderungen betreffen aber das Wasser, betont Najam: Wenn sich das Klima verändert, steigt der Meeresspiegel. Während das Wasser in einigen Regionen also bedrohlich ansteigt, verschwindet es gleichzeitig in anderen Teilen der Welt. Die Zukunft dreht sich um Wasser und Energie, um Überschwemmungen und Lebensgrundlagen. Und Wasser hängt immer auch mit Ernährungssicherheit zusammen. Nahrungssicherung, die im Falle von Infrastrukturzerstörungen nicht mehr gegeben sein wird. Raya Muttarak betrachtet es genau wie Adil Najam deshalb als zentral, Klima und Mobilität miteinander zu verknüpfen. Denn diejenigen, die nicht migrieren können, bleiben zurück – das spaltet die Gesellschaft und führt zum Verlust der Lebensgrundlagen derer, die ohnehin schon am härtesten davon betroffen sind. Klimatische Migration und wirtschaftliche Migration sind miteinander verbunden. Es wird mit der Zeit immer mehr Menschen geben, die aufgrund wirtschaftlicher und klimatischer Probleme zur Flucht gezwungen werden. Für diese Gruppen geht es bei der Erderwärmung um ihre Lebensgrundlage, ihre Existenz.

Was also muss getan werden? Adil Najam stellt vier Forderungen auf. Statt den Fokus auf Flüchtlingsmanagement zu legen, sollte Vertreibung vermieden werden. Statt einer Maximierung der Sicherheit sollte es zu einer Minimierung der Unsicherheit kommen. Statt der Anpassung als Problem sollte es zur Anpassung der Lösung kommen. Und statt Klimahilfe sollte es Klimagerechtigkeit geben. Einen spürbaren Wandel erhofft sich Najam vor allem von den vielen jungen Klimaaktivist*innen , die verstanden haben, dass die Klimakrise jede*n angeht.

Should I stay or should I go? (Soll ich bleiben oder soll ich gehen?)

Muttarak weist darauf hin, dass nicht nur gefragt werden sollte, wer flieht, da Migration immer eine Entscheidung des ganzen Haushalts darstellt. Diese Haushaltsentscheidungen erforscht auch Jane Linekar. Es müsse mehr Wert auf die Frage nach den Zielen von Migration gelegt werden. Dabei sollten entwicklungspolitische Institutionen, aber auch die Regierungen aktiver werden: Diese sollten sensibler auf die Bedürfnisse von Menschen, die fliehen müssen, reagieren. Wirklich zuhören und aktiv darauf antworten, das ist für Linekar von größter Bedeutung. Für eine Flucht werden viele Ressourcen benötigt: Es sei deshalb wichtig, den betroffenen Menschen Informationen über die Fluchtroute zur Verfügung zu stellen, Netzwerke auszubauen, finanzielle Hilfe zu leisten und den Lebensunterhalt zu sichern. Menschen auf der Flucht sind verletzlich – es helfe deshalb nicht, einen Top-Down (dt. von oben herab) Ansatz zu verfolgen. Was sind die tatsächlichen Hintergründe, die Menschen zur Flucht zwingen? Dabei bringt Najam die Frage der sozialen Ungleichheit mit ein: Menschen sterben nicht aufgrund der klimatischen Veränderungen per se, sondern aufgrund der daraus resultierenden Auswirkungen, die nicht alle Menschen gleich betreffen. Während die einen die Hitze aufgrund von Klimaanlagen kaum zu spüren bekommen, sterben jene, die sich keine solchen leisten können, an den Folgen der heißen Temperaturen. In der Diskussion wird deutlich, dass noch viele wissenschaftliche Daten fehlen, um erklären zu können, warum genau Menschen ihre Heimat verlassen. Ein Grund mehr für die Diskutant*innen, ihre Forschung weiter voran zu treiben.

Mehr Stimmen aus dem Globalen Süden.

Nach der Paneldiskussion öffnet die Moderatorin Daniela Paredes, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, den Raum für Debatten mit dem Publikum. In Anlehnung an die strenge österreichische Migrationspolitik kam die Frage auf, was für einen Input die Diskutant*innen geben würden. Adil Najam sieht die Entwicklungspolitik als Chance: Es brauche mehr Stimmen aus dem Globalen Süden in der Migrations- und Klimapolitik. Zumal sei Entwicklungszusammenarbeit eine effiziente Alternative, da sie direkt bessere Konditionen für Menschen zu schaffen versucht, anstatt nur Problembekämpfung zu betreiben. Veränderungen kommen, wenn sich Menschen persönlich bedroht fühlen. Im Globalen Süden sei diese persönliche Bedrohung bereits real.

Der Vortrag machte deutlich, wie soziale Ungleichheit die Auswirkungen der Klimakrise verschärft. Gerade im Globalen Norden, der bisher vergleichsweise wenig von Naturkatastrophen betroffen war, ist man sich der Folgen der eigenen Handlungen oft noch nicht bewusst. Die mangelnde Initiative verschlechtert die Lage für die Menschen im Süden, die schon jetzt mit schwerwiegenden Konsequenzen zu leben haben. Muss die Klimakrise tatsächlich so weit voranschreiten, dass sich auch die Mächtigen bedroht fühlen, damit endlich effektiv entgegengesteuert wird?

 

Die Autorin ist Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

Titelbild © Janina Böttger.

Veröffentlicht in Entwicklungspolitik, Globale Ungleichheiten, Migration.