Lebenslanges grünes Lernen.

Auf dem Weg zu einer grünen und gerechten Lebensweise kommt der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine Schlüsselrolle zu. Was muss getan werden, damit sie dieser Rolle gerecht wird? Vor welchen Problemen und Herausforderungen steht sie?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Online-Seminar Skills for Green and Just Transitions. The role of Vocational Education and Training for Sustainable Development. (dt.: Fähigkeiten für grüne und gerechte Übergänge. Die Rolle der beruflichen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung), das von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) am 20. Mai 2021 organisiert wurde. Presha Ramsarup (Universität Witwatersrand, Südafrika) und Simon McGrath (Universität Nottingham, Großbritannien) waren eingeladen, Vorträge zu den Herausforderungen und Anforderungen an Berufsbildung zu halten. Nach den Vorträgen gab es die Möglichkeit, die Inhalte in Kleingruppen zu diskutieren und Fragen zu formulieren, die später im Plenum aufgegriffen wurden. Anschließend wurden mit Franz Rauch (Universität Klagenfurt), Kenneth Barrientos (Internationales Zentrum für Berufsbildung der UNESCO) und Maude Seghers (Non-Profit Organisation VVOB- Bildung für Entwicklung) Schwierigkeiten und Strategien für die Transformation der beruflichen Aus- und Weiterbildung diskutiert. Moderiert wurde das Seminar von Margarita Langthaler (ÖFSE).

Was bedeutet ‚grüne Transformation‘?

Eingangs stellte Presha Ramsarup fest, dass in der beruflichen Aus- und Weiterbildung inadäquat auf die Herausforderungen des Klimawandels reagiert wurde. Sie wies dabei auf die Diskrepanz zwischen der sozialen Realität und dem (akademischen) Diskurs zu beruflicher Bildung hin: In der Praxis sei diese in den Bereichen Arbeit, Zivilgesellschaft und Arbeitsmarkt verortet und müsse daher auf die Berührungspunkte zwischen Leben, Arbeiten und Lernen achten. Die akademische Debatte fokussiere hingegen ausschließlich auf den Bereich der Arbeit und ziele auf die Schaffung von grünen Arbeitsplätzen (green jobs) ab. Wiederholt betonte Ramsarup: „Der Übergang zu einer grünen Ökonomie ist viel umfassender und größer als ein Diskurs zu Arbeitsplätzen. Es geht grundlegend um die ökologischen und sozialen Herausforderungen, die im Zentrum unserer Gesellschaft liegen.“

Um dieser Komplexität gerecht zu werden, brauche es eine weite Definition von ‚grün‘, die alle Bereiche im Kontext von Umweltschutz und Qualität miteinbezieht. Presha Ramsarup betonte: „ ‚Grün‘ ist naturgemäß schwammig. Es bleibt ein sozial konstruiertes Konzept, nicht greifbar und oft nicht beobachtbar.“ Anschließend an eine neue Konzeptualisierung von ‚grün‘ müsse das Verständnis von grüner Transformation neu gedacht werden: Ramsarup kritisierte, dass diese Transformation oft sehr traditionell konzeptualisiert wird und daher keinen Wandel ermöglicht. Eine neue Herangehensweise an das Konzept der Transformation sollte bei der Definition von Arbeit ansetzen: Arbeit müsse kontextualisiert und in den konkreten Formen der globalen Arbeitsteilung verortet werden.

Damit berufliche Bildung einen wertvollen Beitrag zu grüner Transformation leisten könne, müsse auf diese Komplexität und Vielschichtigkeit reagiert werden. Dafür brauche es stärkere Beschäftigung mit grünen Fertigkeiten (green skills), klare Beschäftigungsfelder für Arbeitskräfte mit grünen Fertigkeiten und Wandel auf allen drei Ebenen der Arbeit, nämlich Arbeitgeber*innen, Sektoren und System. „Die Fertigkeiten, die für die Industrialisierung der Erde notwendig waren, sind nicht notwendigerweise dieselben, die für die Heilung der Erde benötigt werden“, schloss Ramsarup ihren Vortrag.

Das Problem der traditionellen Berufsbildung.

Simon McGrath verortete das Problem des herrschenden Diskurses zu beruflicher Aus- und Weiterbildung in der Dominanz der anglophonen Weltsicht. Dies werde im neoliberalen ökonomischen Zugang deutlich, wodurch Bildung vorrangig als Investition gesehen und eine lineare Entwicklung von (Aus-)Bildung zu Arbeit angenommen werde. „Das ist schlichtweg nicht wahr!“, stellte McGrath fest und verwies auf fehlende empirische Beweise des Erfolges neoliberaler Programme. Die anglophone Weltsicht hatte zur Folge, dass Berufsbildung zu Kohlenstoff-Kapitalismus, kolonialer Ausbeutung und der Reproduktion von defizitären kolonialen Modellen beigetragen habe. Daher brauche es ein radikales Umdenken, das bei der Definition von Arbeit ansetzen müsse, stimmte McGrath seiner Vorrednerin zu. Neben ökologischen Fragen, müsse die berufliche Bildung auch informelle Arbeitsformen und feministische Debatten miteinbeziehen und sich von der Annahme einer linearen Entwicklung von (Aus-)Bildung zu Arbeit wegbewegen. Berufliche Aus- und Weiterbildung, die tatsächlich zu einer Transformation beitragen könne, dürfe sich nicht auf das Lehren von Nachhaltigkeit beschränken, sondern müsse selbst nachhaltig sein.

Die größten Herausforderungen an grüne Berufsbildung in der Praxis.

In der anschließenden Paneldiskussion berichtete Franz Rauch von Ansätzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (ESD) in der beruflichen Aus- und Weiterbildung Österreichs. Die junge Generation fordere, dass kritische Perspektiven in den Unterricht integriert werden. Gleichzeitig sei zu beachten, dass zu radikale Ansätze die Lernenden abschrecken und distanzieren könnten, so Rauch. Kenneth Barrientos gab aus einer globalen Perspektive Einblicke in die größten Herausforderungen und Strategien bei der Umsetzung von grüner beruflicher Bildung. Sie verortete die meisten Probleme in der oft schwachen Verbindung zwischen Wissenschaft, Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Das behindere die praktische Umsetzung aufgrund fehlender Informationen und Kompetenzen. Maude Seghers wies darauf hin, dass in der Entwicklungszusammenarbeit die Bereiche der Berufsbildung und Nachhaltigkeit getrennt sind und unabhängig voneinander agieren. Beide Bereiche müssten integrativ behandelt werden, forderte sie. Um einen integrativen Zugang von beruflicher Aus- und Weiterbildung garantieren zu können, brauche es stabile Ressourcen in allen Bereichen und mehr (mediale) Aufmerksamkeit.

Abschließend appellierte Seghers: „Es ist Zeit zu handeln, es gibt viele Ungewissheiten und unklare Konzepte (…), aber das Vorwärtskommen, auch wenn es unvollständig ist, wird zur dringenden Angelegenheit.“

Die Autorin ist Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

Weiterführende Links:

Briefing Paper von Langthaler, McGrath und Ramsarup
Präsentationen aus dem Webinar
vvob – Education for Development

 

Titelbild © Ben Jeffrey, Ruffled schoolbooks on windowsill, flickr creative commons

Veröffentlicht in Bildungsungerechtigkeit, Globale Ungleichheiten.