Bildung im Wandel: Der Bologna Prozess.

Immer wieder kritisiert, aber schon lange Hochschulalltag: Die Bologna-Reform. Roman Langer vom Institut für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz beleuchtete in seinem Vortrag am 18.05.2015, im Rahmen der Vorlesung „Bildung und Entwicklung“, kritisch deren Entwicklung.

Wegbereiter der Bologna-Reform: Vom Kalten Krieg zum Neoliberalismus.

Viele Ideen, die zur Bologna-Reform führten, wurzeln nach Langer in der Zeit gegen Ende des zweiten Weltkrieges. Der Sieg der USA sei dem wirtschaftlichen und technischen Fortschritt zugesprochen worden, was die Bedeutung dieser Wissenschaftsbereiche in der öffentlichen Wahrnehmung steigerte. In der Zeit des Kalten Krieges sei dann auch in Europa begonnen worden, in „Humankapital“ zu investiert, um im West-Ost-Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein.

Während der multiplen Krisen der 1970/80er kam es zu einem weiteren Wandel, so Langer. Die Paradigmen des Neoliberalismus hatten auch Einfluss auf die Bildungspolitik: Der Staat solle sich möglichst wenig in den Bildungs-Markt einmischen. Viele Bildungsinstitutionen wurden privatisiert. Neue, transnationale Akteure (global Player) seien ins Spiel gekommen, die ihre Interessen auch am Bildungsmarkt verfolgten.

Zu der Kritik am Staat seien von liberaler Seite auch Zweifel an der Rolle der Universitäten hinzugekommen. Diese seien bloß eine Stütze der Politik und mühten sich wenig um den Dialog mit der Gesellschaft. Viele WirtschaftsakteurInnen forderten daher vom Staat (finanziell) autonome Universitäten und Schulen. Stattdessen schlugen sie Modelle wie Sponsoring oder Zusammenarbeit mit Wirtschaftsakteuren vor.

Der Bologna P728px_Bologna_Prozess_Logo.jpgrozess.

Diese Entwicklungen führten zum heutigen europäischen Bildungssystem. Die BildungsministerInnen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien spezifizierten 1998 die „Sorbonne-Erklärung“ über eine gemeinsame europäische Hochschulpolitik, auf die im darauffolgenden Jahr die „Bologna-Erklärung“ folgte. Diese führte zu weitreichenden Veränderungen der nationalen Hochschulsysteme.

Langer erklärte, eines der wichtigsten Ziele der Reform sei die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gewesen. Um den ökonomischen und technischen Vorsprung und damit den Wohlstand zu sichern. So sei der Entschluss gefasst worden, Studiengänge in ECTS und Module zu unterteilen. Die Idee der ECTS könne dabei von Marx kommen, da sie den Wert und die Menge der Arbeit definieren*. Die Idee der Module entlehne sich aus der Exportwirtschaft: Container mit gleicher Größe, gleicher Form, aber anderem Inhalt – die Kompatibilität stehe im Vordergrund. Bildung solle international transportierbar und messbar werden.

Seit 2001 gelte Lebenslanges Lernen als Ziel. In anderen Worten könne man aber auch sagen: Individuelle ökonomische Selbstregulierung. Die Menschen passen sich an die aktuelle Nachfrage am Markt an. Eine technische Errungenschaft folgte der nächsten, vom Festnetz zum Handy, vom Brief zur E-Mail, von der Handarbeit zum 3-D Drucker, vom Telefonbuch zur Website. Die Fähigkeit, diese Neuerungen schnell zu erlernen nach Bedarf weiter zu entwickeln, diene vielen Bereichen der Wirtschaft. Bildung habe die Aufgabe, den Erwerb ökonomisch verwertbarer skills möglich zu machen.

Intentionale (politisch-administrative) governance Mechanismen.

Warum konnte sich der Bologna Prozess trotz Kritik durchsetzen? Viele Themen, wie zum Beispiel die Qualitätssicherung an Universitäten, würden zwar mit der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Aber es sei nicht transparent, welche Delegierten oder InteressensvertreterInnen das Thema überhaupt in den Raum stellen. Hier ginge es oft um feine Formulierungen, hinter denen versteckte Interessen stünden. Viele EU-weite Reformen würden bereits gemeinsam mit einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Aber es müsse transparent gemacht werden, welche InteressensträgerInnen in erster Instanz entscheiden, worüber diskutiert wird – und was verschwiegen werde. Durch diese Intransparenz sei es für KritikerInnen schwer, ihre Anliegen und Bedenken zu formulieren. Die AntreiberInnen der Reformen hingegen könnten sich auf einen Konsens in der Bevölkerung stützen, der jedoch auf Basis intransparenter Information/Machtverhältnisse erreicht worden sei.

Transintentionale governance Mechanismen seien noch schwerer identifizierbar. Als Beispiele nannte Langer shifting Baselines und die funktionale Loyalität bzw. der autoritäre Ratschlag. Unter ersterem verstehe man Wahrnehmungsverschiebungen, die sich über Jahre, Generationen verändern können. Was ist gut, schlecht, gesund, normal? Unter zweitem werde beispielsweise der Ratschlag von Vorgesetzten verstanden, der aus Angst vor Jobverlust oder Nachteilen im Beruf durchgeführt werde, auch wenn der/die Durchführende diesen nicht für Richtig erachte. Der Ratschlag werde damit indirekt zum Befehl. Wo hierbei die Grenze zur Korruption liegt, bleibe offen.

Alles in allem habe die Bologna Reform bis heute mit der Bildung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes zu einer Harmonisierung der Studiengänge und ihrer Abschlüsse in Europa geführt. Bildung wurde vergleichbarer, wettbewerbsfähiger und Forschung habe sich mehr und mehr an ökonomische Vorgaben angepasst. Kritische Stimmen sprechen von der, die akademische Freiheit einschränkenden Verschulung der höheren Bildung. Von marktorientierter Drittmittel-Abhängigkeit (u.a. Sponsoring) und der dadurch entstehenden Vernachlässigung der Grundlagenforschung. Diese Kritik sei bereits bei der Implementierung der Reform laut geworden, dennoch wurde sie durchgeführt.

Die Autorin studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at

*Mit Karl Marx lässt sich die Idee hinter den ECTS so formulieren, dass der “Wert der Ware” – hier also einer Studienleistung – durch “die zu ihrer Herstellung erforderliche Arbeitsmenge” bestimmt wird. Deswegen müsse der “Wert der Arbeit” – bei Marx der Arbeitslohn, beim ECTS die Bescheinigung von Studienleistungen –  “gleichfalls durch die Arbeitsmenge bestimmt werden, die zu seiner Herstellung erforderlich ist” (vgl. Marx 1953: 487 in Schmid/Wilkesmann 2012: 331)

Quelle: Schmid, Christian, J.; Winkelmann, Uwe (2012): Hochschule als Organisation. Dortmund: Springer VS.

Bild: „Bologna-Prozess-Logo“ von Bologna-Kommission – dcsf.gov.uk – Bologna Process Stocktaking London 2007. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons

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