Foto © Jonas Nitschke, ÖFSE

Berufsbildung in fragilen Kontexten: Rückkehrer*innen in Afghanistan.

Führt Berufsbildung in Ländern mit niedrigem Einkommen tatsächlich zu mehr Erwerbstätigkeit, Wirtschaftswachstum und einer höheren Lebensqualität? Das diskutierten Forscher*innen auf der Konferenz „Understanding the migration – vocational education nexus” am 21. Januar 2020 im C3.

Der Migrationsdruck in armen Ländern nimmt durch Bildung allein nicht ab.

Zum „Nexus Migration – berufliche Bildung“ berichtete Stefan Wolf (Technische Universität Berlin), dass junge Menschen aus Ländern mit niedrigem Einkommen auch dann auswandern, wenn die Ausbildungsmöglichkeiten sich verbessern. Erst wenn das Land ein mittleres Einkommensniveau erreicht hat, bleiben Bewohner*innen und Ausgewanderte kehren zurück. Für viele Staaten im globalen Süden ist es eine enorme Belastung, dass geschulte Fachkräfte auswandern. Dies zeige sich in Kuba: Das Land verfügt über ein exzellentes Bildungssystem. Obwohl sie beruflich qualifiziert sind, haben Einwohner*innen keine Perspektive, ihre materiellen Lebensumstände zu verbessern. Damit die Migrationsrate sinken kann, muss es Familien im eigenen Land möglich sein, Wohlstand aufzubauen. Andernfalls sind sie auf die Unterstützung ihrer Kinder im Ausland angewiesen. Junge Menschen migrieren dann weiter in Staaten, wo sie mehr verdienen können. Gleichzeitig sind auch große Konzerne darauf angewiesen, dass gebildete Fachkräfte aus verschiedenen Ländern für sie arbeiten.

Bildungsinitiativen müssen die gesamtgesellschaftliche Situation verstehen.

Wenn neue Bildungsprogramme eingeführt werden, ist es für internationale Organisationen wichtig, dass sie sich gründlich mit der sozialen und wirtschaftlichen Situation des Landes auseinandersetzen. Untersuchungen dürfen sich im Vorfeld nicht nur auf den Arbeitsmarkt beschränken. Leider sei das, Wolf zufolge, häufig der Fall. Stattdessen müssen Initiativen verstehen, wie sich Arbeitsmarkt und Ausbildung in Zielländern überhaupt zueinander verhalten. Auch gesellschaftliche Alterung und die soziale Rolle von Frauen fallen dabei ins Gewicht.

Bildung und humanitäre Hilfe in Krisengebieten.

In vielen Teilen der Welt können derartige Fragestellungen nicht annähernd berührt werden. Ein Extrembeispiel derartiger Herausforderungen ist die Situation Geflüchteter in Bangladesch. Dort befindet sich heute das weltweit größte Auffanglager Cox Bazar. Besonders Frauen sind vor Ort häufig von der Öffentlichkeit ausgeschlossen. Das habe vor allem damit zu tun, dass nicht genug Burkas zu Verfügung stehen. Interaktion im öffentlichen Raum ist, so Wolf, für die Betroffenen ohne Verschleierung undenkbar, wenn sie Teil von konservativen, muslimischen Gemeinschaften sind. Auch Hilfsorganisationen haben in diesem Fall keine Möglichkeit, diese Frauen zu unterstützen oder mit ihnen über ihre Situation zu sprechen.

Afghanistan hat keine Kapazitäten, alle Rückkehrer*innen aus Pakistan aufzunehmen.

Ali Ahmad Safi (Donau Universität Krems, VIDC) ist seit 2014 als Journalist und Forscher in Afghanistan tätig. In diesem Zusammenhang hat er sich mit der Situation von Geflüchteten auseinandergesetzt, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Ein Großteil dieser Menschen lebt heute in informellen Siedlungen nahe der Grenze zu Pakistan. Rund zwei Drittel der afghanischen Migrant*innen waren nach Pakistan ausgewandert. In den letzten Jahren sind viele Menschen zurückgekommen. Sehr viele von ihnen erwartete Arbeitslosigkeit und gravierende Sicherheitsprobleme.

Informelle Siedlungen in Afghanistan.

Knapp 650 zurückgekehrte Familien leben in informellen Siedlungen in Afghanistan. Gesundheitsversorgung, Sozialleistungen, Trinkwasser, Bildung und Infrastruktur seien verheerend, so Safi. Von Seiten der nationalen Regierung gibt es so gut wie keine Unterstützung für die Familien – zumindest was Sozialleistungen betrifft. Internationale Organisationen versuchen Nothilfe zu leisten, indem sie Wasser, Zelte und Schulbildung für Kinder zur Verfügung stellen. Lokale Regierungen und War Lords versuchen die Siedler*innen zu vertreiben. Auch radikal islamische Gruppen wie die Taliban üben Druck aus.

Bildungsprogramme sind nicht an die Situation Geflüchteter angepasst.

Mitarbeiter*innen des Projekts “Afghan Diaspora in Europe” (dt. Afghanische Diaspora in Europa) konnten 2017 eine Zusammenarbeit mit dem afghanischen Arbeitsminister in die Wege leiten. Es gibt im Land 44 verschiedene Berufsbildungszweige. Letztere richten sich jedoch an die Bedürfnisse eine breiteren Öffentlichkeit. – Die Probleme von geflüchteten bzw. zurückgekehrten Menschen im Land werden nicht berücksichtigt. Lediglich internationale Organisationen beziehen deren Ausnahmesituation in ihre Programme ein. Diese konnten bisher nicht ausgeführt werden, weil Afghanistan sozial und politisch zu instabil ist. Hinzu kommt, dass Regierungsfunktionäre häufig wechseln. Das erschwert es allen Beteiligten, langfristige Ziele zu verfolgen und Projekte umzusetzen. Seit 2018 steigt die Arbeitslosigkeit und Investitionen in Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, nehmen ab. Das hat laut Safi damit zu tun, dass politische Instabilität, Korruption und Unsicherheit im Land gewachsen sind.

Initiativen müssen also flexibel bleiben und sich an die Situation im Land anpassen. Arbeitsbedingungen können erst vor Ort wirklich eingeschätzt werden. Vielleicht ist es nicht möglich anfängliche Ziele umzusetzen. Wenn alle Beteiligten bereit sind, sich auf einander einzulassen, werden aber hoffentlich nicht nur lokale Zielgruppen, sondern auch internationale Organisationen lernen.

Die Autorin ist Mitglied im Online-Redaktionsteam. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

Foto © Jonas Nitschke, ÖFSE.

Weiterführende Links:

Ali Ahmad Safi

Stefan Wolf

Veröffentlicht in Bildungsungerechtigkeit, Entwicklungsforschung, Themen, Migration.